Tana French – Grabesgrün

Zehn Jahre hat die deutsche Erstausgabe von »Grabesgrün« mittlerweile auf dem Buckel, zahlreiche Preise hat der Roman eingeheimst, Tana French ist inzwischen Bestseller-Autorin und ihr Name weithin bekannt.

Auch wenn ich sonst oftmals zu den Spätentdeckern gehöre, hatte ich hier ausnahmsweise mal beizeiten den Zug erwischt und das Debüt der Autorin immerhin 2010 gelesen. Und sehr gemocht, wie meine Aufzeichnungen dokumentieren.

 

Wiedersehen

Auf die Relektüre für unser Blog-Spezial war ich also sehr gespannt. Hopp, hopp, auf den Prüfstand mit meinem Krimigeschmack. Großartig an den Inhalt erinnern konnte ich mich nicht mehr, ein, zwei Bilder hingen noch blass im Gedächtnis herum, eine grobe Idee von zwei Ermittlern, verschwundenen Kindern, fehlenden Erinnerungen. Und Sprache, die ich mochte. Auf mein verschwindend geringes Vermögen, mir den Plot eines Romans oder gar einen Täter länger zu merken als eine Pizza im Ofen frisch hochbackt, war auch hier wieder Verlass. Gut für mich.

Also laß ich »Grabesgrün« mit fast jungfräulicher Arglosigkeit. Und mochte es wieder. Könnte also etwas dran sein. Wobei mich einzelne Teile des Kriminalfalls gar nicht so stark zu begeistern vermochten wie die Art, mit der sich Tana French auf ihre Charaktere konzentriert, auf all das Zwischenmenschliche, auf Beziehungen, nützliche und schmerzliche und tröstende und verlorene und das dann für den Kriminalroman nutzbar macht.

 

Verschwinden

In dessen Mittelpunkt steht neben den Ermittlungen in einem Mordfall die Geschichte des Detectives Robert Ryan. Adam Robert Ryan stammt aus dem kleinen Ort Knocknaree bei Dublin. Als er zwölf Jahre alt ist, verschwinden beim gemeinsamen Spielen im Wald seine Freunde Peter und Jamie. Die drei waren unzertrennlich. Adam findet man später in der Nacht an einen Baum gekrallt, die weißen Turnschuhe blutgetränkt. Zwei Wochen lang spricht er kein einziges Wort. Peter und Jamie werden nie gefunden. Adam selbst hat keinerlei Erinnerung an das, was geschehen ist. Der Fall wurde nie aufgeklärt.

Inzwischen ist Ryan Anfang Dreißig und im Morddezernat in Dublin gemeinsam mit seiner Partnerin Detective Cassie Maddox ein aufstrebender Mordermittler. Seine Eltern sind damals aus Knocknaree weggezogen, haben ihn auf ein Internat in England geschickt, seinen ersten Vornamen, Adam, hat er abgelegt, ist jetzt nur noch Robert Ryan, Rob, und verdrängt seine Vergangenheit so gut es geht.

 

Suchen

Bis in Knocknaree auf einem Ausgrabungsgelände die Leiche eines jungen Mädchens gefunden wird und er und Maddox den Fall übernehmen. Seine eigene Verbindung zu Knocknaree verheimlicht er, nur seine Partnerin weiß, dass er der kleine Junge ist, der damals überlebt hat. Es ist die erste von einer ganzen Reihe falscher Entscheidungen, die Ryan während der Ermittlungen treffen wird.

Und die gestalten sich schwierig und umfangreich, es gibt zahlreiche Ansätze, denen nachgegangen wird. Die Archäologen von der Ausgrabungsstelle, eine geplante Schnellstraße, an der eine Menge Geld hängt, das tote Mädchen, das bald auf die Royal Ballet School gehen sollte, die Familie, die durchleuchtet wird. Die Suche nach Motiv und Täter zieht sich, die Detectives werden mürbe.

 

Verdrängen

Tana French lässt sich Zeit mit ihrem Krimi und ihren Akteuren, sie erzählt sehr gründlich. Das fügt sich in die Stimmung des Romans, das passt gut, ein klein wenig melancholisch und erinnerungsschwer, sehr versiert darin, Bilder und Stimmungen zu erzeugen, mal oppulent und verschwenderisch poetisch bei Beschreibungen, Erinnerungen oder in gedankenverlorenen Momenten, dann wieder leichtgängig und lebhaft in den Dialogen. Und daraus entwickelt sich eine sehr dichte und am Ende auch sehr intensive Geschichte.

Interessant zu beobachten auch Detective Rob Ryan als Figur und sein Umgang mit den vergessenen Erinnerungen. Da die gesamte Handlung von Ryan selbst erzählt wird, ist man sehr nah dran an seinen inneren Konflikten, erlebt einen mitunter emotional unreifen Mann, der das Trauma seiner Kindheit beileibe nicht verarbeitet hat und in Bezug darauf auch wenig reflektiert handeln kann. Gleichzeitig trifft man auf einen engagierten Ermittler, der vor allem mit seiner Partnerin Cassie Maddox zur Höchstform aufläuft.

 

Vertrauen

Die beiden sind wie Pech und Schwefel, wie Ernie und Bert. Scully und Mulder. J.D. und Turk. Lorelai und Rory. »…beide zusammen waren ein Team, das es wert gewesen wäre, von Barden besungen zu werden und Einlass in die Geschichtsbücher zu finden.« Tatsächlich ist die Dynamik zwischen den beiden wie ein sehr antriebsstarker Motor, für sie selbst aber auch für die Handlung, sie prägt den Roman und die Figuren. Ebenso kam für mich der Täterfigur eine besondere Rolle zu, die auch noch einmal sehr stark Stimmung und Themen des Romans transportierte.

Alles in allem also kann »Grabesgrün« im Grunde ein klassischer Ermittlerkrimi sein, ein ausführlicher, gründlicher, geduldiger, der mit dem Fund einer Leichte beginnt und dessen Suche nach dem Mörder die Bahn der Handlung zeichnet. Und auch wenn ich tendenziell eher unkonventionelleren Handlungsabläufen den Vorrang geben würde, macht hier besonders die Führung der Figuren für mich einen Großteil der Faszination der Geschichte aus. Das und die angenehme Erzählstimme von Tana French, der ich sehr gerne gefolgt bin.

 

 


© Fischer Verlag
Tana French – Grabesgrün

Originalausgabe »In The Woods« (2007)

übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

August 2009 im Fischer Verlag

Taschenbuch | 704 Seiten | 9,99 EUR

Genre: Kriminalroman

Reihe: Mordkommission Dublin #1

Schauplatz: Dublin

 

 

Die Besprechung erscheint im Rahmen des Blog-Spezials »Irische und nordirische Kriminalliteratur« mit Bloggerkollegin Christina von »Die dunklen Felle«.

 

Die Reihe um die Mordkommission Dublin im Überblick:

1 – Grabesgrün
2 – Totengleich
3 – Sterbenskalt
4 – Schattenstill

 

 

 

 

 

 

 

sowie die weiteren Bände:

5 – Geheimer Ort

6 – Gefrorener Schrei

 

 

 

 

Titelfoto in diesem Beitrag: © Christina Benedikt

13 Kommentare zu “Tana French – Grabesgrün

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  • 9. Oktober 2018 at 17:15
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    Warum nochmal wollte ich das Buch nicht lesen? Ach, manchmal weiß man es einfach nicht besser. Wie gut, dass es noch im SUB schlummert und darauf wartet gelesen zu werden und nicht weg “gewandert” ist…
    Fast scheint es, als müssten wir ein zweites Spezial zum Thema machen und die jeweiligen Bücher des Anderen lesen, die derjenige noch nicht kennt… 😀

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    • 9. Oktober 2018 at 18:27
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      Führe mich bloß nicht in Versuchung, ich bin schon ganz wehmütig, weil wir jetzt fast durch sind! Aber ein Irland-Spezial Reloaded, ein Spezial 2.0 wäre schon was! 😀

      Also ich finde ja gerade den zweiten Band sogar noch einen Tick besser als den ersten, weil der diese extreme Sogwirkung hat und mich tatsächlich meine Schlafengehzeit verpassen lässt, das hatte ich so schon länger nicht mehr. Die Geschichte ist nicht sonderlich komplex, aber halt extrem spannend und zieht einem so richtig das Zeitgefühl weg, sehr cool, das macht richtig Spaß. Aber auch der erste Band lohnt, finde ich, in jedem Fall. Vielleicht auch gar nicht sooo viel erwarten, aber ich denke schon, dass du dich damit auch wohlfühlst. 😀

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  • 11. Oktober 2018 at 12:38
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    Ich muss sagen, jetzt hätte ich echt Bock ihre fetten Bücher noch einmal von vorne zu starten 😀
    Finde nicht jedes Werk von ihr perfekt, aber sie unterhält mich wunderbar :3

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    • 11. Oktober 2018 at 12:42
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      Das würde ich glatt so unterschreiben, ich bin gestern Nacht (!) mit dem zweiten Band fertig geworden und wow, das ist einfach großartige Spannungsunterhaltung! 😀

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  • 12. Oktober 2018 at 14:25
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    Mh, also ich habe “Grabesgrün” seiner Zeit nur mal angelesen, als der Krimi gerade neu und lobend bis schwärmend in aller Munde war. Obwohl ich ja eine Stilfetischistin bin, konnte mich Tana French damals da nicht abholen. Kurios, ich weiß. Aber ich fand ihre Sprache damals etwas zu … girlandig. Halt Sätze, die nen Tick zu schön und damit (für mich) zu konstruiert waren und so nicht richtig zu leben kamen. Deswegen hatte ich damals nach einem Kapitel tatsächlich abgebrochen. Nach deiner Rezension hier allerdings will ich der Frau French noch eine zweite Chance geben. Ich habe mir den Krimi bereits ausgeliehen und werde ihn mir zeitnah hoffentlich gänzlich einverleiben. 🙂

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    • 12. Oktober 2018 at 15:58
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      Das kann ich sogar sehr gut nachvollziehen, das erste Kapitel ist tatsächlich so eine schwelgende Kindheitssommerferienerinnerung und ja, sehr blumig, “girlandig” trifft es super. Das meinte ich auch so in etwa mit “mal oppulent und verschwenderisch poetisch bei Beschreibungen, Erinnerungen oder in gedankenverlorenen Momenten”. Aber das lässt nach, sobald die eigentliche Handlung beginnt, kommt nur ab und an mal wieder hoch, wenn der Erzähler wieder etwas abdriftet, aber in den Dialogen und dem Kriminalfall ist es eher eine sehr leichtgängige Erzählstimme. Dass ich dieser Erzählstimme gerne gefolgt bin, lag dann auch genau an dieser Leichtgängigkeit. Da merkt man schon auch die Theater- und Fernseherfahrung der Autorin, also zumindest würde ich es darauf zurückführen.

      Hm, ich denke, ich würde Tana French in diesem Krimi auch nicht als Stilistin feiern, ich fand hier echt die Figurenzeichnung sehr gelungen, das Zwischenmenschliche, dann die Täterfigur und diese Atmosphäre, die sich da zum Ende aufbaut. Das macht für mich “Grabesgrün” aus.

      Und ich finde übrigens den Nachfolger “Totengleich” etwas besser. Aber auch hier nicht wegen ihrem Stil, es ist wieder die Figurendynamik und auch wieder die Stimmung und hier ganz speziell die Spannung. Sie verwickelt einen so gut in dieses Setting, dass man da irgendwann einfach an den Seiten klebt.

      Ich finde es aber auch völlig legitim und gar nicht kurios, wenn einen das nicht abholt. Und es ist halt auch kein allzu unkonventioneller Handlungsaufbau. Aber ich finde es cool, dass Du dem Roman noch eine Chance geben willst! 😀 Spätestens wenn Cassie Maddox auftaucht, sollte sich dann herauskristallisieren, ob es dieses Mal bei Dir mehr funkt. Und ich finde ja auch, dass das Ende echt gelungen ist und sehr lohnt. Aber das nützt einem bei Nichtgefallen auch nichts, bei über 600 Seiten. 😀 Die muss man ja auch erstmal rumkriegen. Na denn man tau, ne?! 😀

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  • 18. Oktober 2018 at 18:39
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    Geiles Bild für die Rezi! “Totengleich” wurde mir von einer sehr geschätzten SP-Autorin (Magret Kindermann) ans Herz gelegt – sie meinte zwar man könne auch ohne Band 1 einsteigen, aber wenn ich vorher weiß das es eine Reihe ist, muss ich doch vorne beginnen. Hab mir “Grabesgrün” bereits als Hörbuch auf die Wunschliste gepackt und ich glaube nach deiner Rezi ist das Hörbuch die für mich bessere Wahl. Mal sehen wann es einziehen wird (=

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    • 18. Oktober 2018 at 20:06
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      Das Kompliment geht direkt an Christina weiter! 😊

      “Totengleich” ist auch wirklich eine tolle Empfehlung, hab ihn auch gerade gelesen und war sehr sehr sehr angetan. Fand ihn auch stärker als “Grabesgrün”. Allerdings denke ich, dass man für “Totengleich” (abgesehen von unserem nerdigen Reihenfolgespleen 😁) “Grabesgrün” kennen sollte, auch wenn die Fälle inhaltlich abgeschlossen sind, die emotionalen Entwicklungen und Verwicklungen greifen da schon ineinander. Insofern gute Entscheidung! 😊

      Für das Hörbuch würde mir hier zwar bei der Länge die Geduld und Konzentration fehlen, aber wenn es dich packt, coole Sache! 👍

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      • 20. Oktober 2018 at 10:57
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        Hui, jetzt fixt du mich nochmals an “emotionale Entwicklung und Verwicklungen”! Das klappt bei mir ganz gut, hatte auch “Outsider” und die Bill Hodges-Reihe von Stephen King gehört, ich liebe Hörbücher! Außerdem versüßen sie mir das Putzen *lach

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  • 3. November 2018 at 22:03
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    JETZT HABE ICH SEHR VIEL LUST GRABESGRÜN ZU LESEN. Ich muss zugeben, dass ich schon öfters nach dem Buch gegriffen habe – nur um es dann wieder wegzulegen, weil es zu viele Seiten hat und ein Cover, das mich nicht mehr wirklich anspricht. Vielleicht hätte ich warten und nicht gleich die deutsche Ausgabe kaufen sollen, wenn ich doch genauso gut die Originalausgabe lesen könnte auf Englisch. Ich bin immer touch-and-go bei der Verpflichtung es durch zuziehen und solche Wälzer zu lesen, aber “auf ihre Charaktere konzentriert” und “wie Scully und Mulder. JD und Turk. Rory und Loreli” hat mich doch besonders gepackt. Vielleicht muss ich GRABESGRÜN echt mal etwas höher auf meiner Prioritätenliste anordnen!

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    • 8. November 2018 at 15:07
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      Also wenn, dann wünsche ich in jedem Fall viel Spaß beim Lesen! 🙂 Und ich schiebe gerne nochmal hinterher, dass ich den zweiten Band, “Totengleich” glatt noch ein bissl besser fand. 😀

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