Unsere Vietnam-Titel für das Blog-Spezial fallen beide auf ihre eigene Art ein bisschen aus dem Rahmen. Bei Christina ging es mit »Das schwarze Pulver von Meister Hou« ins Vietnam des 17. Jahrhunderts, ungewöhnlich genug für ein Romansetting. Bei mir sind es heute mit »Nach der Schlacht« von Le Minh Khue die Erzählform und die Erzählweise, die es zu bemerken gilt.
Erzählungen
Denn »Nach der Schlacht« sammelt zwei Erzählungen der vietnamesischen Autorin, »Stürmische Zeiten« aus dem Jahr 2011 und »Eine kleine Tragödie« von 1986. Rund 130 Seiten und 60 Seiten lang sind diese beiden Erzählungen.
Und ich verzichte hier auch ganz gezielt auf den Begriff »Kurzgeschichte«. Ebenso wie ich dringend die Verlegerin Else Laudan aus ihrem Vorwort zitieren möchte: »Le Minh Khues Erzählungen sind keine Genre-Texte, es sind (…) dem Realismus verpflichtete Sittenbilder über die Folgen des Krieges …«. Weil wir damit nämlich exakt zum Kern und Wesen dieser Erzählungen vorstoßen und ich dem uneingeschränkt zustimmen möchte.
Die beiden Erzählungen in »Nach der Schlacht« sind weder Kriminalerzählungen, noch Kurzthriller, ja nicht einmal wirklich den Noir-Stempel würde ich verwenden wollen. Weil diese drei Begriffe letztlich alle etwas mit dem Erzählen von Geschichten und dem Erzeugen bestimmter Bilder, bestimmter Stimmungen mittels bestimmer Mittel zu tun haben. Und nichts davon ist das, was »Stürmische Zeiten« oder »Eine kleine Tragödie« tun. Und das ist nicht in einem wertenden Kontext gemeint, sondern vielmehr eine Art Klärung der eventuellen Erwartungshaltung oder Vorstellungen von der Art dieser Texte.
Le Minh Khue bedient sich nicht gezielt spezieller Stilmittel um eine bestimmte Art von Atmosphäre zu erzeugen, für mich hatten die beiden Erzählungen absolut nichts mit einer konstruierten Wirklichkeit zu tun. Sie haben vielmehr den Charakter von, ja, ich weiß auch nicht, man kann es eigentlich nicht besser benennen als eben mit Else Laudans Worten, es sind Sittenbilder. Eine Schilderung, eine Beschreibung von dem Verhalten der Menschen während und nach den Kriegsjahren in Vietnam.
Stürmische Zeiten
»Stürmische Zeiten« erzählt dabei die Geschichte der Brüder Hieu und Phong, und wenn man überhaupt genretypische Erzählelemente suchen möchte, findet man sie am ehesten in dieser Erzählung. Denn es ist das alte Motiv der Rache, das hier vor der Kulisse des Krieges eine prominente Rolle spielt. Und wo Rache ist, ist eine Schuld oft nicht weit. Und was wäre die Schuld ohne die Sühne. Diese drei Empfindungen ziehen sich durch »Stürmische Zeiten«, begleiten die Brüder Hieu und Phong, die Gegner sind. In einem privaten Familienkonflikt ebenso wie im Kriegsgeschehen.
Während Hieu im Norden des Landes in Hanoi seine Kindheit verlebte, studierte und zur Armee ging, wuchs sein Bruder Phong im Süden in Saigon auf, studierte dort, ging ebenfalls zur Armee. Mit Ausbruch der Kriegshandlungen befinden sich beide auf gegnerischen Seiten. Doch auch ohne den Krieg wären sie sich nicht näher. Gemein haben sie denselben Vater, ihre Mütter haben aber einen Graben geschaffen, der kaum zu überwinden ist. Eingeimpfter Hass und der Wunsch nach Rache vergiften ein Kind. Der Krieg ein scheinbarer Gehilfe. Oder erst der Katalysator.
Eine kleine Tragödie
In der zweiten Erzählung, »Eine kleine Tragödie«, entfaltet sich leise eben jene, eine Familientragödie, wieder von den Ereignissen der Kriegsjahre geprägt und bis in die Gegenwart der 80er Jahre greifend. Die Reporterin Thao, die in ärmlichen und beengten Verhältnissen in einem Wohnheimzimmer ihrer Zeitung lebt, ist die Nichte des einflussreichen Herrn Tuyen, ein hohes Parteimitglied mit einem üppigen Einkommen und zahlreichen Privilegien. Inzwischen im Ruhestand, war er zu Dienstzeiten verantwortlich für viele folgenschwere, skrupellose Fehlentscheidungen, die viele Menschenleben kosteten. Zur Rechenschaft gezogen wurde er nie.
Jetzt wissen wir aber alle, Karma ist eine Bitch, und so bleibt auch hier nichts ungesühnt und das Unglück kehrt zurück in das Haus des alten Herrn Tuyen. Die Figur der Nichte Thao in der Rolle als Reporterin und Beobachterin ist hier für den Leser die Mittelsfigur. Sie erzählt von der Familie des Herrn Tuyen, von ihrer Cousine Cay, der sie sehr nahe steht und die sie immer bewunderte. Cay führte ein Leben im Überfluss, materiell fehlte es ihr an nichts. Nun heiratet sie bald, ist verliebt bis über beide Ohren in ihren wunderbaren zukünftigen Ehemann, scheint vor Glück zu zerplatzen. Und Glück ist zerbrechlich. »Glück ist etwas sehr seltenes, meinst Du nicht?«
Auszüge aus gelebten Leben
Im Prinzip sind beide Erzählungen Geschichten, in denen Trennung den Familien das größte Leid zugefügt hat, während der Krieg im Hintergrund wie ein großes Monster sitzt und die Not multipliziert.
Daher hält es sich auch die Waage, der Anteil an Themen des Krieges mit samt seiner Bilder, die hier nicht erzeugt werden, um plumpen Schrecken zu generieren, sondern die in ihrer grausamen Schlichtheit und Tatsächlichkeit dominieren, mit dem Anteil an Familiengeschichten, die von Zusammenhalt und Spaltung erzählen.
Abschließend für mich ist hier noch einmal hervorzuheben, dass es bei Le Minh Khues Erzählungen nicht primär um einen findigen Plot, geschickte Wendungen, um eine Auflösung oder inszenierte Spannungsmomente geht. Kein Paukenschlag zum Finale. Stattdessen ein steter Fluss von Erlebnissen. Auszüge aus gelebten Leben.
Zum Abschluss
Le Minh Khues Erzählungen geschehen schlicht und geben wieder, was Krieg und Macht in den Menschen freilegt, wie Hass und Wut und Ideologien zerstören und töten und nehmen und nichts zurückgeben. Was bleibt, ist die Hoffnung auf Güte und die Frage, »wie Menschen zu ihresgleichen so grausam sein« können.
Und damit wurden die beiden Erzählungen für mich auch zu ausgezeichneten und konzentrierten Anti-Kriegsgeschichten.
Le Minh Khue – Nach der Schlacht
Originalerzählungen »Nhiệt đới gió mùa« (2011)
und »Bi kịch nhỏ« (1986)
übersetzt von Günter Giesenfeld, Marianne Ngo, Aurora Ngo
März 2017 bei Ariadne/Argument Verlag
Taschenbuch | 207 Seiten | 12,00 EUR
Genre: Erzählungen
Schauplatz: Vietnam
Die Besprechung erscheint im Rahmen des Blog-Spezials »Kriminalliteratur aus Ostasien« mit Bloggerkollegin Christina von »Die dunklen Felle«.
Weitere Besprechungen zu »Nach der Schlacht« u.a. bei:
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Hallo,
Bücher, die sich über Genregrenzen hinwegsetzen, sind ja oft die interessantesten! Aber ich denke, das hier ist ein Buch, das man nicht immer lesen kann – ich brauche für solche Bücher die richtige Stimmung und Muße.
LG,
Mikka
Hallo Mikka!
Gerade wenn man so nah an eigenem Erlebten schreibt, sollte es auch gar nicht im Vordergrund stehen, sich an bestimmte Genreparameter zu halten. Vielleicht generell nicht. Einfach schreiben, was man im Kopf hat und dann wird sich ja nachher zeigen, was es ist. Solange es funktioniert und Menschen erreicht, ist doch alles wichtige erreicht. 🙂
Ich weiß gar nicht, ob ich die beiden Erzählungen für mich in die Kategorie der Texte packen würde, für die ich die richtige Muße brauche, ich glaube, das ging hier eigentlich. Wobei das bescheuert klingt, wenn wir über Kriegsliteratur reden. Aber ich weiß, was Du meinst, man hat so Themen und Bücher, die kann man nicht mal eben so nach nem harten Tag abends zum Runterkommen lesen.
Liebe Grüße!
Ja, genau das wollte ich damit sagen! Gerade Kriegsliteratur kann ich nicht immer lesen, weil ich den Kopf dafür auch wirklich freihaben will.