Magdalena Jagelke – Ein gutes Verbrechen

Eine besondere Erzählung liegt mit Magdalena Jagelkes »Ein gutes Verbrechen« hier vor mir. Beziehungsweise hinter mir, gestern habe ich das schmale Buch mit dem roten Einband und dem schwarzen Vorsatzpapier beendet, mit der prägnanten Coverillustration von Stephanie Wunderlich.

Ein Mädchen, das in einen Briefkastenschlitz schaut. Das ist Tara, wie sie auf Post von ihrer Mutter wartet. Und in deren Herz es so leer ist wie im Briefkasten.

 

Allein, allein

Tara ist noch ein Teenager, als ihre Mutter sie verlässt. Einfach so. Ihre Mutter geht durch die Tür und ist weg. Sie befindet, Tara sei nun alt genug. Sie schickt ihr jeden Monat Geld für den Unterhalt, überweist die Miete, bis zur Volljährigkeit, wünscht ihr viel Glück. Aber sonst, nichts. Keine Anwesenheit, keine Briefe oder Anrufe, kein Kontakt. Keine Erklärung.

Tara versteht nicht, macht aber weiter. Sie ist klug, geht weiter zur Schule, macht ihr Abitur, den Führerschein, beginnt ein Studium. Sorgt für sich in einem tristen Vorort einer namenlosen Stadt. Nur soziale Kontakte fallen ihr schwer. Beziehungen sind schwierig. Als sie sich ihr erstes Auto zulegt und einen Strafzettel für falsches Parken kassiert, macht ihr die Last der Verantwortung so sehr zu schaffen, dass sie den Wagen kurz darauf einem Schrottplatz überlässt.

 

Viel Glück!

Die gesamte Situation, Taras Leben, wirkt so, wie sie beschrieben und erzählt wird, in hohem Maße unwirklich. Man ist irritiert, sucht nach der Lücke im Konstrukt. Man versteht nicht, genau wie Tara, warum die Mutter geht, hat die gleichen unbeantworteten Fragen auf den Lippen. Man bekommt von der Autorin nichts außer sehr viel Platz für eigene Spekulationen. Das frustriert zuweilen. Zwingt einen erstmal zum Hinnehmen. Das kann ich ja gar nicht leiden. Großartig, wie die Autorin einen in diese Situation manövriert. Am Hinterfragen gehindert zu sein, ist fies. Wie muss es dann erst der Tochter gehen, die keine Antworten für das Weggehen ihrer Mutter hat?

Man erlebt dann auf den wenigen Seiten und in kurzen, nüchtern klaren und gleichzeitig immer wieder tief lyrischen Sätzen Taras Erwachsenwerden. Natürlich ob der Form der Geschichte sehr gerafft und vornehmlich an mehr oder weniger erfolgreichen zwischenmenschlichen Beziehungen verortet, steuert man gemeinsam mit ihr auf einen Punkt zu, der Ende und Anfang von etwas sein kann oder auch von nichts.

 

Der Mond, der Mond

Ich könnte nicht sagen, dass »Ein gutes Verbrechen« eine befriedigende Lektüre war. Sie ist vielmehr eine Art reizvolle Kunst und ein kleines, besonderes Erlebnis, eines, das irgendwie kratzt und ein bisschen unangenehm in den Ohren klingelt, gleichzeitig aber auch fasziniert und einen beschäftigt und nicht zuletzt mit einer Sprache überwältigt, die wie schon angedeutet an Lyrik erinnert und die auch eine sehr traurige, graugeschleierte Ballade erzählen könnte.

Teilweise fühlte ich mich beim Lesen an Schulzeiten erinnert, als Lehrer uns fragten, wofür die Nacht oder der Mond in dieser oder jener Gedichtzeile stünden, über die Symbolik eines Baumes oder eines Flusses sprachen. Man fängt hier beim Lesen an, Bilder zu entschlüsseln, denn mit denen arbeitet die Autorin, was ich in dieser Art und Weise sehr großartig fand, weil der gesamte Text ein Rätsel ist und einen auffordert, mit ihm im Mondlicht zu tanzen und ihn dann vielleicht zu verstehen.

 

Rätselhaft

»Ein gutes Verbrechen« ist eine Erzählung voller merkenswerter Zitate, voller Sätze, die man sich anstreicht, weil man sie mehrmals lesen möchte, weil sie erstaunlich sind und manchmal rätselhaft und mit dieser poetischen Distanz arbeiten, die einem das Gefühl vermittelt, man müsse noch etwas tun für sein Geld.

Der Stil von Magdalena Jagelke ist wirklich unglaublich präsent und übernimmt es nahezu vollständig, einen durch diese kurze Handlung zu tragen und den Kopf mit Verbildlichungen zu beschäftigen und der enorm konzentrierte Stimmungen und Gefühle vermittelt.

 

Famos

Mag sein, dass diese Besprechung heute eher rätselhaft als aufschlussreich ist, aber das ist auch das, was »Ein gutes Verbrechen« für mich war. Ich finde es schwierig, dieser Erzählung mit eigenen Worten zu begegnen, aber um sie zu ringen, tut auch gleichzeitig gut. Das ist schon eines dieser Bücher, über das man am Küchentisch mit jemandem reden möchte, der es auch gelesen hat, um zu philosophieren, wie war das gemeint, was sollte jenes bloß, wie hast du das verstanden? So luftleer eine Besprechung in den Äther zu schicken, widerstrebt mir schon fast.

Aber der Stil der Autorin ist schlicht famos und das sollte unbedingt gesagt werden und dies sei hiermit getan. Großartig ist auch, wie er, also der Stil, also eigentlich die Autorin, aus einem Text Kunst macht und es ist irgendwie aufregend, wenn das passiert. Und wie so oft bei Kunst bin ich mir nicht sicher, ob ich sie verstehe. Aufregend bleibt sie aber dennoch. Oder gerade deshalb.

 

 


© Voland & Quist
Magdalena Jagelke – Ein gutes Verbrechen

 

September 2018 bei Voland & Quist

Hardcover | 120 Seiten | 16,00 EUR

Erzählung/Novelle

 

 

 

 

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