Jack Taylor fliegt raus. Aus dem Polizeidienst, aus Kneipen, aus seiner Wohnung. Das ist fast wie ein physikalisches Gesetz. Über kurz oder lang handelt sich Jack Taylor auf die ein oder andere Art und aller Bemühungen zum Trotz Ärger ein. Verkettungen unglücklicher Umstände, die auf einen Mann treffen, der sich nicht verbiegen will. Und bevor Jack Taylor einknickt, knickt lieber sein Lebensweg ein.
Jack, Sie sind raus.
Und so wurde Jack Taylor aus dem Dienste der irischen Polizei geworfen, weil er einen rasenden Mercedes anhielt, in dessen Fond ein hohes Tier aus dem Finanzministerium saß. Dem passte weder Jack Taylors loses Mundwerk noch dessen Faust, die den Schlagabtausch und seine Karriere bei der Garda Síochána beendete.
Eventuell trugen auch die in den vergangenen 10 Jahren bereits gesammelten Abmahnungen dazu bei, obwohl Jacks Hang zum Alkohol kein so großes Problem darstellte wie der Zorn des Finanzbeamten. An der Stelle war dann einfach Schluss mit lustig und für Jack Taylor hieß es aus die Maus und raus.
Was also tun mit all der Zeit und der Erfahrung und den vielen Pubs in einer kleinen Hafenstadt wie Galway? Man könnte, ohne es zu forcieren, so etwas wie ein Privatdetektiv werden. Die Leute begannen, Jack um Hilfe zu bitten und er half und fand Dinge oder Lösungen und so wurde das ganze zu einer Art Selbstläufer und Jack Taylor zu jemandem, den man in der Kriminalliteratur eben als Privatdetektiv bezeichnet. Wobei Jack da eher unkonventionell ist. Er hat kein Büro oder andere Dinge, die Privatdetektive so haben. Nein, Jack sitzt im Grogan’s, einem Pub, und wer ihn sucht, findet ihn dort.
Turbulenzen
So auch Ann Henderson, die Mutter der kürzlich verstorbenen Sara. An die Selbstmordtheorie der Polizei will sie nicht glauben, ihre 16-jährige Tochter hätte sie nie im Stich gelassen und sie hatten doch schon eine gemeinsame Reise nach Amerika geplant. Jack Taylor soll herausfinden, was mit Sara wirklich passiert ist. Eine trauernde Mutter, die den Verlust auf diese Weise nicht akzeptieren kann? Oder ist etwas dran an dem anonymen Anruf, den sie erhielt und der sagte, Sara wäre ertränkt worden?
Jack Taylor verspricht, sich umzuhören und stößt tatsächlich auf etwas, auf eine Teenager-Selbstmordserie, auf einen Heimwerkermarkt und auf schmutzige Geschäfte. Währenddessen erleiden seine Finger und sein Herz mehrfach Brüche, er ist öfter als ihm lieb ist im Krankenhaus, auf Entzug und von Toten umgeben, es ist einfach eine turbulente Geschichte.
Dialoge? Machen Sie Platz, Ken Bruen ist da.
Und jetzt kommt aber der eigentliche Clou. In »Jack Taylor fliegt raus« geht es nicht in erster Linie um die Ermittlungen oder den Fall. Es geht um zwischenmenschliches. Es geht um Jack, um seine Alkoholsucht und seinen Kampf dagegen, es geht um seine Freundschaften und Beziehungen, es geht sogar ganz essenziell um Freundschaften, um Güte, um hilfsbereite und loyale Menschen, um Beziehungen, um Rückhalt und Vertrauen. Um Verrat, Manipulation und Grenzen. Und es geht um Irland, und um die Kirche, im Subtext, nicht vordergründig, noch nicht.
Der Fall, der Jack hier angetragen wird, ist zwar eine Art Motor, aber er spielt trotzdem eine untergeordnete Rolle. Ken Bruen setzt nicht auf ausgeklügelte Rätselspiele, das ist nicht sein Anliegen, hier geht es um die Charaktere, um das, was sich zwischen ihnen abspielt. Und das vermittelt der Roman sehr gut und über verschiedene Wege.
Zwei Dinge stechen dabei besonders heraus, die Dialoge und der Humor. Ken Bruen ist der Meister der Dialoge – und man müsste den Artikel vor Meister eigentlich in Großbuchstaben setzen, aber das darf man nicht, wenn man ernstgenommen werden will, und das wollen wir alle natürlich, deshalb lasse ich das auch, aber stellt euch das kleine »der« vor Meister einfach sehr sehr groß vor – und entsprechend dialoglastig ist auch dieser Roman und das ist perfekt so, man möchte mehr davon und mehr und noch mehr. Denn sie sind knapp, pointiert und dabei aussagekräftig, sie sind schnell und schlagfertig und bar jeder Schwafelei.
Und sie sind witzig. Humor ist ja immer so eine Sache, aber ich finde sie wirklich witzig. Herrje, ich habe tatsächlich ständig gelacht, na ja, gegiggelt, ich bin zu introvertiert um beim Lesen laut zu lachen. Aber die Mundwinkel gingen deutlich nach oben. Wollte mir sogar einiges notieren und auswendig lernen. Es ist dieses frotzelnde, staubtrockene. So zynisch, unverblümt und von Herzen kommend. Ich mag das sehr.
Ein Freund, ein guter Freund.
Richtig gut funktioniert auch das gesamte Figurenensemble, denn Jack Taylor hat nicht nur Humor, er hat auch Freunde. Vermutlich erstaunt es ihn bisweilen selbst, wie viele Freunde er eigentlich hat. Und dass sie ihn aufrichtig mögen. Sean, der Besitzer des Grogan’s Pub zum Beispiel. Der ist weniger an Jack als trinkfreudiger Kunde interessiert, er macht ihm sogar viel lieber nur einen Kaffee. Cathy B., eine junge Sängerin, rockig und rotzig und lebenslustig und Jack treu verbunden.
Dann Padraig, der Obdachlose, der sich gerne unterhält und oft kluge Dinge sagt ohne sie zu sagen. Und Sutton, ein langjähriger und anhänglicher Freund, ein Künstler, ehemaliger Soldat. Sutton war schon vieles und immer ein wenig anders und ein bisschen Wahnsinn schwingt bei ihm mit, das fällt selbst Jack auf. Nicht zu vergessen Mrs. Bailey aus Bailey’s Hotel, die einen guten Mieter erkennt, wenn sie ihn sieht und gerne noch einen Absacker nimmt.
Dieses Figurenkonstrukt ist in seiner Kürze, in der es eigentlich im Roman beschrieben wird, derart dicht und fast schon liebevoll ausgesucht und zusammengestellt, dass es einem richtiggehend warm ums Herz wird, und das ganz ohne Schnaps.
Bücher sind seine Therapie
Ach, und Literatur gibt es auch noch! Jack Taylor ist ein bibliophiler Zeitgenosse, er liebt das Lesen, er liebt die Bücher selbst, das ist seine eine Konstante, sein Fluchtpunkt. Von seinem Vater hat er das mitbekommen, seiner Mutter war es ein Dorn im Auge, ein Bibliothekar hat ihn in Jugendjahren zum Kriminalroman gebracht. Und so finden sich im Roman immer wieder Verweise auf tolle Lektüren, bekannte Namen tauchen auf. Ken Bruen übertreibt es nicht damit, setzt aber immer wieder interessante kurze Passagen dazu ab, die geneigte Leser sehr schätzen dürften.
So, was bleibt also am Ende. Der erste Band der Jack-Taylor-Reihe macht vor allem große Lust darauf, dieser leidgeprüften Figur weiter zu folgen, man hat Bock auf den Humor, auf mehr von diesen schlagfertigen Dialogen. Ken Bruen ist eine Autorität, wenn es um pointierte Dialoge geht.
»Jack Taylor fliegt raus« macht also Spaß, unterhält gut, weiß mit seinen Figuren zu rühren und all das Zwischenmenschliche in den Fokus zu setzen, was gleichzeitig eine leichte Tiefe in die Geschichte bringt, die dadurch dann sehr stimmig und sehr einnehmend wird.
Ken Bruen – Jack Taylor fliegt raus
Originalausgabe »The Guards« (2001)
übersetzt von Harry Rowohlt
Mai 2012 im dtv Verlag
Taschenbuch | 304 Seiten | 10,95 EUR
Genre: Kriminalroman
Reihe: Privatdetektiv Jack Taylor #1
Schauplatz: Galway/Irland
Die Besprechung erscheint im Rahmen des Blog-Spezials »Irische und nordirische Kriminalliteratur« mit Bloggerkollegin Christina von »Die dunklen Felle«.
Die Romane um Privatdetektiv Jack Taylor im Überblick:
sowie die weiteren Bände:
#6 – Jack Taylor auf dem Kreuzweg
#7 – Jack Taylor gegen Benedictus
#8 – Jack Taylor geht zum Teufel
#9 – Ein Grabstein für Jack Taylor
Titelfoto in diesem Beitrag: © Christina Benedikt
Pingback: Blog-Spezial »Irische/nordirische Kriminalliteratur« gemeinsam mit »Die dunklen Felle«
Pingback: Ken Bruen – Jack Taylor fliegt raus — WortGestalt-BuchBlog | Die dunklen Felle
Ah, ich erinnere mich, dass mir der erste Teil auch sehr gut gefallen hat. Ich hab dann auch in der Reihe weitergelesen, aber irgendwann hab ich aufgehört – irgendwie konnte sie mich dann nicht bis zum Ende hin reizen.
Nichtsdestotrotz – die Rezension ist sehr gelungen. Machen Sie Platz, hier ist Ken Bruen! Wie cool! 🙂
Ich hatte bei der Recherche nach den Folgebänden auch kurz den Gedanken, ob es einen über die längere Distanz noch begeistern kann oder ob es sich mit der Zeit abnutzt. Insofern kann ich mir das gut vorstellen, was du schreibst. Ich bin mal gespannt, wie es sich bei mir verfällt.
Danke! 😊
Yeah! Jack Taylor! Mir ging es ähnlich: die ersten drei Bände habe ich im begeisterten Rausch hintereinander weg gelesen. Beim vierten Teil war ich dann ziemlich übersättigt und auch gelangweilt. Seitdem liegt das fünfte Buch hier und wird einfach nicht gelesen. Seit drei oder vier Jahren nun schon. Sollte ich mal ändern. Mit derart viel Abstand packt mich der Jack vielleicht wieder. Hat er ja eigentlich schon. Dank deiner tollen Rezension, die wieder richtig Lust auf ihn macht. Danke dafür. 🙂
Mit Vergnügen, das freut mich sehr! 😀 Aber ich kann gut nachvollziehen, was Du schreibst. Ich hätte auch am liebsten direkt im Anschluss die nächsten Bände gelesen, es hat wirklich dieses Rausch-Potential, sowas wie Binge Reading, mehehe. Aber offenbar setzt dann wirklich bald auch eine Übersättigung ein. Ich werde mich also etwas zügeln und mir das alles etwas einteilen. 🙂
Eine sehr weise Entscheidung 😉
Pingback: Blog-Spezial Irische und Nordirische Kriminalliteratur – gemeinsam mit Wortgestalt | Die dunklen Felle