♫ »Soy el fuego que arde tu piel
Soy el agua que mata tu sed
El castillo, la torre yo soy
La espada que guarda el caudal« ♫ *
Narcos
»Die Scherenfrau« ist eine melancholische Liebesgeschichte tief aus der Seele Medellíns. Und damit, mit dieser Stadt, diesem Land dahinter, Kriminalliteratur. Über die Dreiecksbeziehung der drei Hauptfiguren Emilio, Antonio und Rosario erzählt der Autor von den sozialen Milieus Medellíns, von der Herrschaft der Kartelle und von der Gewalt.
Dabei gelingt es dem Autor Jorge Franco über seine Sprache, die Stimmungen in den einzelnen Szenen ganz besonders intensiv zu transportieren und eine Atmosphäre zu erzeugen, die für mich beim Lesen enorm greifbar war. Wenn man das Buch beendet hat, bleibt neben der Geschichte der Rosario Tijeras vor allem auch dieses Gefühl, einer Melodie gelauscht zu haben, einer sehr tragenden.
Ohne ausführlich Bezug auf Pablo Escobar zu nehmen, wird deutlich, dass die Geschichte etwa zur gleichen Zeit spielt, wie auch die TV-Serie “Narcos”. Das Medellín-Kartell hat die Millionenstadt im Griff, Bombenanschläge, Mordserien, der Drogenhandel und seine Opfer sind ein natürlicher Umstand.
Die Tochter der Schneiderin
Die Handlung beginnt auf einem Krankenhausflur. Eine Frau wurde mit einer Schussverletzung eingeliefert, ein Mann wartet und bangt um ihr Überleben. Die Frau ist Rosario Tijeras, die Scherenfrau. Den Spitznamen hat sie der Waffe zu verdanken, mit der sie sich an einem Mann gerächt hat. Ihre Mutter war Damenschneiderin. Der Mann, der auf dem Krankenhausflur wartet, ist Antonio. Er und Emilio, sein Freund aus Kindertagen, sind seit vielen Jahren mit Rosario befreundet, die drei waren ein kaum trennbares Gespann. Emilio und Rosario waren ein Paar, Antonio war ebenfalls in sie verliebt. Emilio war in dieser Freundschaft der offene, lässige und übermütige, Antonio der leise, zurückhaltende und sanfte. Und Rosario war Rosario, die aufregende Schönheit, die zerstörte Seele, eine Mörderin für die Kartelle Medellíns.
Geschichten aus …
Während Antonio also die zäh vergehenden Stunden auf diesem Flur verbringt, erinnert er sich an die gemeinsame Zeit mit Rosario, erzählt in Rückblenden dem Leser seine, ihre Geschichte. Dabei ist die Erzählperspektive hier ein entscheidender Punkt, denn alles, was wir über Rosario erfahren, erfahren wir nur durch Antonios Erinnerungen. Und durch seinen noch leicht verklärten Blick auf diese Frau, die sein Herz und das Herz seines besten Freundes besitzt. Und auch die Details aus Rosarios Leben sind nur das, was Antonio meint, über Rosario zu wissen, nur das, was sie ihm über sich erzählt hat.
»Rosario konnte tausend Geschichten erzählen, die alle ganz verschieden waren. Doch wenn man irgendwann Bilanz zog, handelte es sich nur um eine einzige Geschichte. Die von Rosario, die vergeblich versuchte, das Leben zu besiegen.«
(Zitat S. 35)
… Medellín
Während man das alles liest, kann man sich den Roman eins zu eins als Kinofilm vorstellen, die Stimme Antonios als Erzähler aus dem Off, die Hügel Medellíns, Lichter in der Nacht und dazwischen drei junge Leute, eine Frau, zwei Männer und die Gewalt Medellíns.
Fazit: Eine melancholische Liebegeschichte tief aus der Seele Kolumbiens, die durch ihren Schauplatz Medellín und der Sprache Jorge Francos zu einem sehr melodischen Stück Kriminalliteratur wird.
Bewertung: 4,3 Punkte = 4 Sterne
Stil: 5/5 | Idee: 4/5 | Umsetzung: 4/5 | Figuren: 5/5
Plot-Entwicklung: 4/5 | Tempo: 4/5 | Tiefe: 5/5
Komplexität: 4/5 | Lesespaß: 4/5 | Ø 4,3 Punkte

Jorge Franco – Die Scherenfrau
Originalausgabe »Rosario Tijeras« (1999)
aus dem Spanischen übersetzt von Susanna Mende
Februar 2004 im Unionsverlag
Taschenbuch | 192 Seiten | 8,90 EUR
Genre: Kriminalroman / Kolumbianische Literatur
Reihe: Einzelband
Schauplatz: Medellín / Kolumbien
Weitere Besprechungen zum Buch gibt es unter anderem bei:
Leider habe ich zu diesem Roman keine Rezensionen von Buchbloggern entdecken können. Wenn Du eine kennst oder selbst eine verfasst hast, lass mir in den Kommentaren gerne den Link da, dann trage ich sie hier nach!
*Textzeile aus dem Lied »Tuyo« von Rodrigo Amarante, 2015.
Pingback: Unnützes Wissen für Krimileser: Folge 1 - Kolumbien - WortGestalt-BuchBlog
Sehr gelungen wieder mal deine Rezension, auch den Verweis zu Narcos finde ich sehr treffend. Es ist wirklich ein tolles Buch, ich werde mich gleich mal umgucken, was es von Jorge Franco sonst noch auf Deutsch gibt. Übrigens: ich hatte eine Hardcover-Ausgabe (ebenfalls Unions-Verlag), die firmiert unter dem Titel “Rosario Tijeras”.
Danke für dein Feedback! Für die Blumen auch. 🙂 Freut mich ja sehr, dass dir der Roman gut gefallen hat und du das mit Narcos auch so siehst. Ich wollte mich bei Gelegenheit auch noch weiter mit kolumbianischer Kriminalliteratur auseinander setzen, auch wenn das relativ überschaubar ist. Aber generell Südamerika wollte ich mir näher anschauen. Wenn du boch etwas von Jorge Franco in die Hände bekommst, lass mich wissen, wie es ist! 🙂
PS: Stimmt, ich habe die Taschenbuchausgabe und es wurde zuvor schon schon als Hardcover herausgegeben. Interessant, dass es hier eine Titeländerung gab.
PPS: Unser Gespräch erinnert mich daran, dass ich mir noch die Verfilmung ansehen wollte.
Oh, eine Verfilmung gibts auch? Gut zu wissen. Was weitere ins Deutsche übersetzte Bücher von Jorge Franco angeht, so vermeldet zumindest Amazon leider null Treffer. Sehr enttäuschend.
Ich bin bei meiner Suche auch zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Schade, aber dann vielleicht andere kolumbianische Autoren.
Der Film heißt übrigens “Rosario – Die eiskalte Killerin”.