Weiß der Geier, warum dieses Buch nicht auf Platz 1 sämtlicher Bestseller-Listen steht. Dort findet sich so viel Quark, aber dieses Buch hätte die hohen Verkaufszahlen mehr als verdient.
Klar und authentisch
»Duft nach Weiß« erzählt auf sehr klare und authentische Art und gleichzeitig mit punktgenau treffenden Emotionen eine Geschichte über das Aufwachsen und das Leben im kommunistischen Bulgarien, eine Geschichte über das Streben nach Freiheit, nach freiem Denken und freien Worten, eine Geschichte über Heimat und Flucht. Und ein kleines bisschen Agenten-Crime ist auch dabei.
Das Mädchen Anelija
Das Mädchen Anelija ist 5 Jahre alt, als ihre Mutter das kleine bulgarische Dorf Radilovo verlässt, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Anelija bleibt bei ihren Großmüttern und wächst in den 1970er und 1980er Jahren in einem Bulgarien auf, das zwischen Fünfjahresplan und Normerfüllung vor allem daran arbeitet, Regimekritiker mundtot zu machen und die Bevölkerung in einer Atmosphäre von allgegenwärtiger Bedrohung zu einer funktionalen, sozialistischen Gesellschaft zu formen.
Anelija will vor allem schnell Schreiben und Lesen lernen. Sie will die Briefe ihrer Mutter aus Deutschland, die auf diesem schönen weißen Papier ankommen, selbst lesen und beantworten können. Und sie entwickelt sich zu einer hochbegabten Schülerin, die bald an die geistigen Grenzen einer Gesellschaft stößt, in der nicht jeder sein kann, wer er will.
Der Schriftsteller Markow
Auch der Schriftsteller Georgi Markow fällt schnell in Ungnade. Sein freies Denken ist unerwünscht und so bleibt ihm bereits Ende der 60er Jahre nur noch die Flucht ins Exil, wenn er sich dem Staat nicht beugen will. Von London aus versucht er über den Radiosender »Free Europe« weiter, auf die Umstände in Bulgarien aufmerksam zu machen. Er erreicht damit viele Menschen und ist der bulgarischen Führung damit mehr denn je ein Dorn im Auge. Der KGB tritt auf.
Leise und mächtig
Die Autorin Stefanie Gregg schreibt diese beiden Geschichten in ihrer klaren Sprache ganz unaufgeregt und selbstverständlich und schafft somit, was zahllose Adjektive nicht vermögen. Sie baut eine feine Linie von Emotionen durch diese Geschichte, die einen leise und mächtig punktgenau anspringen und lange nicht loslassen. So sind beispielsweise die kargen Verhältnisse, in den Anelija aufwächst, durchzogen von der Wärme der beiden Großmütter, der Babas, die ihr Leben lang auf dem Feld hart gearbeitet haben. Klug und besonnen versuchen sie, ihrer Enkeltochter das Beste zu ermöglichen. Und die Geschichte dieser beiden Babas, wie hat sie mein Herz zusammenziehen lassen!
Das »Regenschirmattentat«
Dazu kommen die politischen Umstände, die einmal mehr deutlich machen, was es bedeutet, sagen zu dürfen, was man denkt und was es bedeutet, wenn man es nicht darf. Das Leben bedroht zu sehen, wenn man Kritik an der Regierung äußert. Und wenn es sich dabei um keinen aufgepuschten Agenten-Thriller handelt, sondern um Zeitgeschehen. Denn der bulgarische Schriftsteller Georgi Markow existierte tatsächlich. Er wurde tatsächlich 1978 in London von einem Geheimdienstagenten ermordet. Und es war tatsächlich eine kleine Kugel gefüllt mit dem Gift Rizin an einer präparierten Regenschirmspitze, die Gregori Markow tötete. Dieses »Regenschirmattentat« ist keine Fiktion.
Neuer Blick
Und so liest sich schlussendlich der gesamte Roman »Duft nach Weiß« nicht wie eine fktive Geschichte, sondern besticht mit einer Authentizität, die sehr sehr großartig ist. Und die für mich diese besondere Wucht der Erzählung ausmachte.
Zudem habe ich für mich einen völlig neuen Blick auf das Land Bulgarien und seine Menschen gewonnen. Ich bin sowohl durch meinen familiären als auch durch meinen schulischen Hintergrund vor allem auf die Geschichte der DDR fokussiert, wenn es um die Jahre des Kalten Krieges und den Kommunismus geht und vergesse beschämenderweise zu leicht, dass auch andere Länder in dieser Zeit unter solch einer Diktatur zu leiden hatten.
Fazit: Mich hat »Duft nach Weiß« sowohl thematisch als auch stilistisch sehr begeistert, es vermittelt gleichermaßen nüchtern und sensibel so viele Dinge, dass es nur als Gewinn betrachtet werden kann, dieses Buch zu lesen.
Bewertung: 4,9 Punkte = 5 Sterne
Stil: 5/5 | Idee: 5/5 | Umsetzung: 5/5 | Figuren: 5/5
Plot-Entwicklung: 5/5 | Tempo: 5/5 | Tiefe: 5/5
Komplexität: 4/5 | Lesespaß: 5/5 | Ø 4,9 Punkte
Stefanie Gregg – Duft nach Weiß
Originalausgabe | Juli 2016 im Pendragon Verlag
Klappenbroschur | 320 Seiten | 15,00 EUR
Genre: Roman
Reihe: Einzelband
Schauplatz: Bulgarien / London / München
Weitere Besprechungen zum Buch gibt es unter anderem bei:
Danke für die Erwähnung meiner Worte. Ich freue mich sehr, dass es jetzt noch eine weitere Rezi dieses Buches gibt, das leider zu wenig Beachtung gefunden hat.
Sehr gerne, ich wollte dir auch noch einen Kommentar hinterlassen, dass ich dich hier zitiert habe, aber umso schöner, dass du es schon entdeckt hast.
Dem Buch sind wirklich viele, viele Leser zu wünschen!
Ihr habt mich neugierig gemacht auf dieses Buch !
Das freut mich wirklich sehr und ich kann es nur noch einmal voller Begeisterung empfehlen! 🙂
Oh, was für eine wunderschöne Rezension. Das Buch wäre total an mir vorüber gegangen aber jetzt…mmmh…Die Thematik mag ich ja sehr, generell alles Zeithistorische . Scheint zu passen.
Liebe Grüße und eine schöne Lesezeit
Kasin
Hallo Kasin!
Oh das freut mich sehr, danke, und ja, unebdingt, schau dir das Buch mal näher an, ich kann mir nicht vorstellen, dass du es nicht großartig finden wirst! 😀
Viele liebe Grüße!!
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