Jeff Lemire/Dean Ormston – Black Hammer: Vergessene Helden

»Black Hammer« ist genau der richtige Comic für all diejenigen, die eigentlich gar keine Superhelden-Comics mögen. Und, und das ist großes Kino, »Black Hammer« ist auch genau der richtige Comic für all diejenigen, die Superhelden-Comics lieben. Das klingt, als wolle man zwanghaft entgegengesetzte Pole zusammenbringen, aber eigentlich ist es viel einfacher. Klischees raus, Lemire rein und fertig ist die Laube.

Denn Jeff Lemires Geschichten ticken auf eine ganz eigene Art, sie haben eine ganz eigene Grundstimmung, die irgendwo zwischen Ruhe und Melancholie und Kreativität etwas ausstrahlt, das echt einen ganz eigenen Zauber entwickelt. Es ist überhaupt nicht verwunderlich und absolut wünschenswert und beruhigend, dass ein Künstler wie Jeff Lemire inzwischen zu den angesagtesten Comickreativen dieser Tage gehört. Was ich bisher von ihm gesehen und gelesen habe (fürs Protokoll waren das seine Autorencomics »Geschichten vom Land« und »Der Unterwasser-Schweißer« sowie einige seiner Arbeiten für die großen Häuser Marvel und DC und beeindruckt haben mich hier besonders die beiden erstgenannten, ich meine, wow, wie großartig!) war so große Klasse, dass ich die Welt noch weniger verstehen würde, wenn es anders wäre.

 

Farm für Verlorene

Ok, aber worum geht es in »Black Hammer« eigentlich? Wir starten auf einer alten Farm irgendwo im Nirgendwo und so, wie Tolstoi seine Anna Karenina beginnen ließ mit den Worten: »Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.«*, so ist auch die dort lebende Familie Slamstein auf ihre ganz eigene Weise unglücklich. Der alte Farmer Abe und seine erwachsenen Söhne, seine kranke Schwiegertochter und die aufmüpfige Enkelin führen ein zurückgezogenes Leben, wirken verschroben. Sie sind Einzelgänger, Außenseiter.

Nur ist Abe gar kein alter Farmer. Auch seine neunjährige Enkeltochter Gail ist weder 9 Jahre alt noch seine Enkeltochter. Und die beiden Söhne? Nein, auch nicht, genauso wenig wie die Schwiegertochter. Und den Roboter habe ich noch gar nicht erwähnt. Und verwandt ist hier auch niemand miteinander.

Vor 10 Jahren strandeten diese sechs Menschen auf eben jener abgelegenen Farm. Eben noch kämpften sie in Spiral City gegen einen schier unbezwingbaren Widersacher. Sie waren Helden, Superhelden. Doch am Ende der Schlacht blieb nur ein Lichtblitz. Und ein Erwachen fern ihrer Heimat.

 

Nach Hause telefonieren

Walky-Talky, der Roboter, versucht seitdem mit Sonden ein Signal nach Spiral City zu senden. Vergeblich. Auch die Stadtgrenzen können die Helden nicht verlassen. Etwas bannt sie an diesen Ort. Und während der alte Abe sich scheinbar gut in sein neues Leben gefügt hat, leidet besonders Gail, die mit Mitte 50 in der Gestalt einer Neunjährigen festsitzt, unter der Situation.

Auch Colonel Weird verliert immer mehr seinen Verstand, transzendiert zwischen den Realitäten als wäre er mehr weg als da. Und Barbalien, der Kriegsherr vom Mars, der Freunde statt Feinde finden wollte, konnte weder hier noch dort er selbst sein und versteckt als Gestaltwandler weit mehr als nur sein marsianisches Aussehen.

Madame Dragonfly und ihre Hütte im Wald komplettieren die Gruppe, und eigentlich war da noch ein siebter Held im Bunde: Joe Weber, Black Hammer …

 

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Charakterstark

Jeff Lemire hat seine Protagonisten so fein abgestimmt entworfen, es macht unglaublich viel Freude, diese Charaktere beim Lesen des Comics zu ergründen. Und man möchte sofort Liste führen mit all den Reminiszenzen, die man im Text findet, denn er ist voll davon, auf diese gute, kluge Art. Eine Hommage an all die Superhelden der vergangenen Jahrzehnte. Aber nicht abschrecken lassen, wer nicht mit dem Kosmos der Superhelden vertraut ist, das ist völlig gleich, lest den Comic trotzdem. Es spielt keine Rolle, ob man in diesem Genre bewandert ist, die Geschichte funktioniert auf so vielen Ebenen.

Und genau das ist der Clou an dieser Geschichte. Sie ist gleichzeitig eine große Liebeserklärung an Superheldenstoffe und geht darüber hinaus aber dazu über, sich den Figuren auf einer völlig unspektakulären und zutiefst menschlichen Ebene zu nähern. Weg von Muskeln, Masken und Fähigkeiten, kein ablenkender Glanz und kein Kaboom, sondern einfach ein Haufen von Leuten, die ihr Zuhause verloren haben, die einsam sind, die Glück suchen, Liebe, die herausfinden müssen, ob sie noch mehr verbindet als die Tatsache, dass sie ein Kostüm im Keller haben und auf einer alten Farm in einer kleinen Stadt festsitzen.

 

Der Farbtopf und der Zeichenstift

In diesem ersten Band der Black-Hammer-Reihe sind die ersten sechs Hefte der Serie gebündelt erschienen, alle Figuren bekommen hier neben der Haupthandlung in kleinen Rückblenden und in fast klassischer Manier ihre kleine Hintergrundgeschichte erzählt. Man erahnt dabei schon die zum Großteil noch verborgene Seite und den Umfang des Universums, das Jeff Lemire hier andenkt und das später auch in eigenständigen Ausgaben Raum finden wird. Und man hat auch wirklich Böcke auf all die Geschichten, die da noch kommen mögen und mögen es zahlreiche sein!

Noch rasch zu den Zeichnungen und der Koloration. Die Farben hat Dave Stewart verantwortet, seines Zeichens auch zuständig für die Koloration der Hellboy-Comics, die ich, ganz salopp gesagt, unglaublich feiere, und dementsprechend großartig finde ich auch hier die Farbgebung. Befinden wir uns in der Haupthandlung im Hier und Jetzt sind die Farbtöne eher erdig, gedeckt, sehr stimmig, harmonisch, atmosphärisch. Wechselt die Handlung zu kurzen Ausschnitten der Vergangenheit, dann greift Stewart genau die kräftigen, kontraststarken Farben auf, die man aus dem Goldenen Zeitalter kennt, aus den alten Superman-Heften auf dem Flohmarkt. Das ist verdammt großartig gelungen, wie ein Zeitsprung mittels Kombination von Farbtönen.

Für die Zeichnungen selbst ist Dean Ormston (»Luzifer«) zuständig, ein für mich noch relativ unvertrauter Zeichner, aber spannend und interessant. Sehr markige Gesichter zeichnet er, die Damen alle mit etwas sehr runden, die Herren mit sehr kantigen, rechteckigen Köpfen. Nicht, dass das groß von Bedeutung wäre, aber das ist hängengeblieben. Das, und das ich es besonders mochte, wenn er Außenaufnahmen gezeichnet hat, egal ob Stadt, Land oder Wald, Haus oder Baum, das hatte etwas, die Perspektive, die Proportionen, das saß und passte und wirkte.

 

Fazit

Alles in allem also extrem große Freude bei mir über den Auftakt zur »Black Hammer»-Reihe. Jeff Lemire erzählt ein Superhelden-Drama, das von so viel Leidenschaft und Kenntnis zum Genre zeugt, dass es darüber hinaus wächst und am Ende auch die Leser überzeugen wird, die sonst sagen »Eigentlich mag ich keine Superhelden-Geschichten«. Weil es hier nicht vordergründig um übermenschliches Heldentum geht, sondern einfach um Menschen, um Außenseiter, um Einsamkeit, um Zuhause, um Familie, um einen Ort, an dem man man selbst sein kann.

Und Himmel noch eins, Jeff Lemire erzählt das erstens mit so viel Subtext und hat zweitens das perfekte Team für die visuelle Umsetzung am Start, dass diese Reihe einfach bitte unbedingt durch die Decke gehen muss (und das tut sie ja bereits. Don’t miss it!).

 

 

*zitiert nach der Ausgabe aus dem dtv Verlag, 5. Auflage München 2015, in der Übersetzung von Rosemarie Tietze

 


© Splitter Verlag

Jeff Lemire – Black Hammer: Vergessene Helden

OT: »Black Hammer Vol. 1: Secret Origins« (2016/17/18)

Autor: Jeff Lemire

Zeichnungen: Dean Ormston, Farben: Dave Stewart

Übersetzung: Katrin Aust

Splitter Verlag | Hardcover | 184 Seiten | 19,80 EUR

Reihe: Black Hammer #01

 

 

 

 

Die Black-Hammer-Reihe im Überblick (deutschsprachige Veröffentlichungen)

03/2018 – Black Hammer #01
05/2018 – Black Hammer #02
04/2019 – Black Hammer #03
Spin-Off: Sherlock Frankenstein (09/2018)
Spin-Off: Doctor Star (01/2019)

3 Kommentare zu “Jeff Lemire/Dean Ormston – Black Hammer: Vergessene Helden

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