Wenn ich am Ende eines Romans das Gefühl habe, dass er für mich nicht funktioniert hat, sitze ich meist relativ lange gedanklich über diesen Umstand. Gerade bei Titeln, die relevante Themen behandeln, eine Aussage haben, etwas mitteilen wollen, da hinterfrage ich diesen Eindruck eine ganze Weile.
»Illegal« von Max Annas ist so ein Titel. Er ist politisch, er ist gesellschaftskritisch, er hat eine Botschaft. Und er hat für mich nicht funktioniert. Während ich das zunächst sehr lange und intensiv mit mir selbst diskutiert habe, bin ich schlussendlich zu der einfachen Lösung gekommen: Es ist eben einfach manchmal so. Manche Romane zünden bei mir eben einfach nicht. Trotz starkem Thema, trotz wichtiger Botschaft, nicht jedes Buch kann jeden Leser erreichen.
Erreichen
Wobei das so nicht mal stimmt. Erreicht hat mich »Illegal«, ich habe seine Botschaft gelesen, denke, ich habe sie verstanden, nur hat mich die Darstellung, die Form, vielleicht auch einfach schlicht die Erzählmethode nicht elektrisiert, nicht mit sich fortgerissen. Die Vorgängerromane des Autors konnten das. Der 2014 erschienene Roman »Die Farm« und der 2016 folgende »Die Mauer« hatten einen Drive, der aufregend und geschickt war und bei der sich Form und Inhalt zusammengetan hatten, um den Leser zu jagen und zu fangen. »Illegal« dagegen hatte für mein Empfinden seine Botschaft wie einen Klotz am Bein, hat sich davon beschweren und ausbremsen lassen.
Bewegen
Aber worum es geht eigentlich? »Illegal« erzählt eine Geschichte vom Dasein. Von Selbstbestimmtheit und von Fremdbestimmtheit. Von der Frage, was Begriffe wie »Zuhause« und »Heimat« bedeuten und wie sehr man sich einsperren lässt, um vermeintlich frei zu sein. Kodjo ist ein junger Mann, der von Ghana nach Berlin gekommen ist. Seit vielen Jahren schon lebt er in der Stadt, seit einigen davon ohne gültige Papiere. Das heißt, er muss sich verstecken, vor den Behören, vor der Polizei, vor jeglicher Aufmerksamkeit. Das ein solches Leben wenig Zufriedenheit bringt, lässt sich an zwei Fingern abzählen. Trotzdem lebt Kodjo dieses Leben.
Nur vage konnte ich einen Eindruck davon gewinnen, was ihn dazu bewegt. Kodjo erzählt im Laufe des Romans zwar seine Geschichte, doch nur sehr reduziert und kaum so, dass sie als Schlüsselszene wirkt. Vielleicht hat genau das mir gefehlt, dass intensiver auf Kodjos Motive eingegangen wird, dass man mehr herausarbeitet, was ihn antreibt. Sicherlich hat der Roman bewirkt, dass ich dies immer wieder durchdacht habe, dennoch wünsche ich mir bei so einer Charakterdarstellung, wie sie hier stattfand, mehr Konzentration auf die Triebfeder, nicht nur auf die Bewegung.
Erschlagen
Bewegung gibt es dafür jede Menge. Der Plot der Story kommt ins Rollen, als Kodjo aus seinem Versteck in einem alten Abrisshaus heraus beobachtet, wie eine junge Frau in der Wohnung gegenüber erschlagen wird. Danach folgen viele unüberlegte Entscheidungen, die schließlich dazu führen, dass Kodjos Leben noch riskanter wird.
Davonrennen
Wie schon in »Die Mauer« nutzt der Autor auch hier die Jagd, die Verfolgung als ein zentrales Element, setzt das Grundthema in den Szenen um, in denen Kodjo davonrennt. Vor der Polizei, vor zwielichtigen Schlägertypen, vor einem Mörder, vor Fahrkartenkontrolleuren. Man sieht an dieser Aufzählung, die Feindbilder in diesem Roman verschwimmen zu einer grauen Masse, eine paranoide Grundstimmung legt sich über die Handlung und die Hauptfigur rennt. Das hat in »Die Mauer« für meinen Geschmack beispiellos großartig funktioniert. Aber überall dort, wo »Die Mauer« schnell und pointiert wirkte, ist »Illegal« schwerfällig und stumm. Die Verfolgungsjagden durch Berlin wirken wie ein Aufguss dessen, was man bereits in »Die Mauer« gelesen hat, wir haben hier lediglich ein anderes Setting.
Und auch wenn es im Zuge dieser Verfolgungsjagden einige wirklich großartige Momente gibt, die tragisch und dramaturgisch gekonnt inszeniert sind – da ist diese eine Szene, die einen ans Herz greift und daran zieht und zerrt, die erzählerisch eine ganz eigene Klasse ist – waren mir die langen Verfolgungssequenzen zu nah dran an dem, was ich bereits in »Die Mauer« gelesen habe, und so gut es beim ersten Mal funktioniert hat, so wenig begeistert mich dies in leicht variierter Form ein zweites Mal.
Fazit: »Illegal« war für mich ein Roman, bei dem ich die Motive des Autors deutlicher gespürt habe als die seiner Hauptfigur. Das mag seinen Reiz haben, hat für mich hier aber trotz starkem Thema und wichtiger Botschaft nicht funktioniert.
Bewertung: 2.6 Punkte = 2 Sterne
Stil: 4/5 | Idee: 3/5 | Umsetzung: 2/5 | Figuren: 2/5
Plot-Entwicklung: 2/5 | Tempo: 3/5 | Tiefe: 3/5
Komplexität: 2/5 | Lesespaß: 2/5 | = 2.6/5.0

Max Annas – Illegal
Originalausgabe
März 2017 bei Rowohlt Hundert Augen
Hardcover | 240 Seiten | 19,95 EUR
Genre: Roman, Thriller
Reihe: Einzelband
Schauplatz: Berlin
Weitere interessante Beiträge zum Buch gibt es unter anderem bei:
Crimenoir – »Doch meiner Meinung nach will Annas zu viel.«
Deutschlandfunk – Max Annas im Gespräch mit Frank Meyer
Auf der Leipziger Buchmesse, hielt ich Illegal in der Hand und war mir sicher, dass es einem Anspruch gerecht werden würde, den wir so sehr lieben. Da ich deine Rezensionen sehr schätze, sie für mich stets sehr gut einordnen kann, bin ich nun natürlich etwas enttäuscht. Natürlich könnte Illegal bei mir anders wirken, aber diese Chance sehe ich als äußerst gering an.
Liebe Grüße und ein wunderschönes Wochenende,
Nisnis
Hallo Anja! Vielen Dank für deinen lieben Kommentar! Ich war vorab auch sehr gespannt auf “Illegal”, sicherlich auch bedingt durch die Eindrücke der beiden Vorgängerromane. Kennst du denn ” Die Farm” schon? Falls nicht und du aber Lust hast, den Autor kennenzulernen, würde ich dir diesen Titel ans Herz legen, er ist sehr spannend, sehr schnell, hat eine tolle Dynamik zwischen den Figuren. Vielleicht eine gute Möglichkeit um herauszufinden, ob dann später doch auch “Illegal” interessant sein könnte.
Viele Grüße und auch dir ein entspanntes, verlängertes Wochenende! Wuhu, mehr Zeit zum Lesen! 🙂
Nein, die Farm kenne ich noch nicht. Sicher eine gute Idee, damit einen Versuch zu starten. Ich notiere es mir und schau es mal näher an. Danke dir für deinen Tipp.
Liebe Grüße
Anja
Gern! Ich denke, dass “Die Farm” einen besseren Zugang bietet! Falls du es irgendwann liest, bin ich auf deine Eindrücke neugierig!
Liebe Grüße!