»Spielarten der Rache« kann man nach dem Lesen erst einmal eine ganze Weile anstarren und darüber nachdenken, was für eine grandios kalkulierte Rachegeschichte man hier gerade gelesen hat.
Meine Bewunderung galt zunächst leicht fehlgeleitet der Hauptfigur des Romans, Red Dock, und brachte mich in arge moralische Bedrängnis, immerhin ist dieser perfide Plan von einer kalten Grausamkeit durchsetzt, die man unmöglich bewundern kann. Aber dieser Plan ist so durchtrieben exakt geplant und auf eine Art so smart durchdacht, dass man sich dem verwerflichen Charme dieser kriminellen Energie kaum erwehren kann.
Die Axt für das gefrorene Meer in uns
Gleichzeitig spiegelt sich in der Figur Red Dock und in seinem Racheakt die komplette Tragik dieser Geschichte, sodass sich meine Bewunderung natürlich nicht auf das Handeln der Figur Red Dock, sondern auf den Autor Seamus Smyth bezog und immer noch bezieht, denn er ist es, der diese Geschichte erdacht hat, konzipiert hat und dem man dafür einen Preis verleihen sollte, irgendeinen wichtigen, der ganz viel Aufmerksamkeit generiert.
Denn im (sehr lesenswerten) Vorwort vom Pulp Master-Verleger Frank Nowatzki wird erwähnt, dass das Manuskript dieses Romans quasi als unverkäuflich gehandelt wurde, als es ihm auf der Frankfurter Buchmesse eine Literaturagentin aus Dublin anbot. Was mich nicht so sehr überrascht, wie es vielleicht sollte, aber nicht minder leise erzürnt bis frustriert, weil, meine Güte, was ist denn bloß los mit der Literaturbranche? Wollen die keine guten Kriminalromane? Die sind bisweilen auch schon mal ein bisschen unbequem, man zitiert doch nicht umsonst Kafka, »Axt für das gefrorene Meer ins uns« und so weiter und so fort.
Na jedenfalls, in Japan, auch das verrät das Vorwort (Ich liebe Vorworte. Und Nachworte.), ist Smyth übrigens der Renner. Auch in Frankreich verlegt man ihn. Vielleicht sollte man gleich auch noch Pulp Master einen Preis verleihen. Ja, ganz sicher sollte man das.
Versprochen ist versprochen
Und dabei ist »Spielarten der Rache« am Ende gar nicht auf die Art unbequem, die man bei der Thematik erwarten könnte. Hintergrund des Romans ist der Missbrauch von Kindern in den Einrichtungen und Institutionen der katholischen Kirche in Irland und das Versagen des Staates, diese Kinder zu schützen.
Seamus Smyth widmet sich mit seiner rauen Geschichte aber auf eine sehr sensible Weise diesem Thema, schützt die Kinder nachträglich in diesem Roman mehr als es die Regierung Irlands getan hat und bedient sich keiner expliziten Missbrauchsszenen, zieht aus dem erlittenen Leid der Betroffenen keinen plumpen Spannungsstoff.
Ganz im Gegenteil erzählt er phasenweise einen fast schon lässigen Gangster-Krimi (Schrägstrich Thriller, Schrägstrich Noir, Schrägstrich Schubladen sind eigentlich doof, aber um zu verdeutlichen, welche Elemente hier die Gangart bestimmen, auch ganz nützlich), der aber nie verhehlt, wie ernst ihm das Thema ist.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Robert »Red« Dock, der mit seinem Zwillingsbruder Sean in einem Waisenhaus der Christlichen Brüder aufwuchs. Körperlich schwere Arbeiten, Misshandlungen, Züchtigungen, physische und psychische Gewalt waren an der Tagesordnung. Sean starb noch als Kind an den Folgen der Übergriffe. Red verlässt mit 18 die Einrichtung und beginnt, sich in der Unterwelt Dublins einen Namen zu machen. Bis in die höchsten Kreise des Organisierten Verbechens wird er es schaffen. Nur zu einem einzigen Zweck. Ein Versprechen, das er seinem Bruder gab, einzulösen. Und um Rache zu nehmen.
Die Details
Wuhu, das klingt mysteriös. Wird aber erst genial, wenn ich kurz ins Detail gehe. Denn Red Dock verfolgt einen infamen Plan.
Er entführt als junger Krimineller ein Baby. Das Baby des Polizisten, der damals seinen Bruder und ihn der Fürsorge des katholischen Waisenhauses übergab. Er fingiert eine Erpressung, lässt eine Geldübergabe platzen. Nur um genügend Spielraum zu haben, die Kleine unauffällig in ein Waisenhaus bringen zu lassen.
Danach stattet er, ohne sich zu erkennen zu geben, seiner eigentlichen Familie einen Besuch ab. Seine übrigen Geschwister unterhalten auf dem Land ein Gestüt. Pferdezucht, Reitunterricht, ein netter Familienbetrieb. Er sorgt mit einem Mord und einem Telefonat dafür, dass plötzlich seine Nichte zumindest auf dem Papier zur Mutter des entführten kleinen Baby Girls wird. Die davon aber natürlich weder etwas weiß noch ahnt. Und wartet dann ab. Fast 20 Jahre.
Picasso?
Die ersten Seiten des Romans, auf denen das eben Beschriebene geschieht, die lesen sich dann fast wie ein Rausch, Schlag auf Schlag und kühn und durchtrieben. Das ist schon großes Kino. Es ist einer dieser Romananfänge, bei denen man schon nach ganz wenigen Sätzen weiß, dass hier etwas bombastisches vor einem liegt und man hat dieses Kribbeln im Kopf und könnte im Prinzip auch in eine Art Schnappatmung verfallen, weil man permanent staunt und verblüfft ist. Dieser monströse Racheplan, den Red Dock hier auf den Weg bringt, spielt in einer völlig eigenen Liga.
Das entführte Mädchen ist inzwischen also Anfang Zwanzig und lebt als Lucille Kells in Dublin. Sie jobbt in einem Café und wartet auf ihren Studienplatz in den Fächern Psychologie und Sozialwissenschaft. Für Red Dock ist sie immer noch eine Marionette in seinem Spiel, in seinem Plan. Und es ist an der Zeit, die finalen Fäden zu ziehen. Wenn ihm da nicht gerade ein Serienmörder namens Picasso in die Quere kommen würde.
Und ja, hier könnte es brenzlig werden. Ein Serienmörder? Oh no! Aber ja! Aber doch, unbedingt! Seamus Smyth spielt mit diesem Ungetüm der Popkultur, weiß ziemlich genau, wie er ihn sich seiner Story Untertan macht. Und auf schräge Weise funktioniert es am Ende.
Ursache und Wirkung
Auch, weil der Serienmörder hier letztlich nur eine Begleiterscheinung ist. Red Dock und seine Rache, sein Plan, seine jahrelange Geduld, das hohe Maß an Manipulation, an nüchterner und pragmatischer Zweckmäßigkeit, Menschenleben zu benutzen, sie einzusetzen für seine Zwecke, das dominiert und prägt diesen Roman.
Red Dock als Charakter ist dabei in seiner Funktion als Erzähler (im Wechsel mit kürzeren Passagen von Lucille und Picasso) von einer gewissen Nonchalance geprägt, die den Roman mit einem trockenen Witz, einer zynischen Attitüde unterlegt, was mir aus stilistischer Sicht extrem gut gefallen hat.
Und so ist »Spielarten der Rache« am Ende ein Roman über Ursache und Wirkung. Ein Roman, der den Machtmissbrauch der katholischen Kirche thematisiert, ihre Machtposition kritisiert und das verpackt in einer bemerkenswerten Rachegeschichte, die ein Bewusstsein schafft und eine Auseinandersetzung sucht. Wenn solche Romane in der Branche als unverkäuflich gehandelt werden, dann weiß ich ehrlich nicht, ob uns Lesern nicht mal gehörig der Marsch geblasen gehört.
Seamus Smyth – Spielarten der Rache
Titel des irischen Manuskripts »Red Dock« (2010)
übersetzt von Ango Laina und Angelika Müller
August 2015 bei Pulp Master
Taschenbuch | 320 Seiten | 14,80 EUR
Genre: Noir
Reihe: Einzelband
Schauplatz: Dublin
Die Besprechung erscheint im Rahmen des Blog-Spezials »Irische und nordirische Kriminalliteratur« mit Bloggerkollegin Christina von »Die dunklen Felle«.
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Hach, auf die Rezension war ich schon sehr gespannt. Natürlich hab ich das Buch schon im Regal stehen… aber bisher hab ich mich tatsächlich fast nicht rangetraut. Ein Fehler, wie ich jetzt sehe, aber einer, den ich beheben kann!
Und natürlich ist auch Deine Rezension famos wie immer – vielen Dank dafür!
Das kann ich so gut nachvollziehen, der Roman hatte bei mir vorab auch ganz andere Erwartungen geweckt und ich hätte mit einer viel schwereren Geschichte gerechnet. Nicht, dass diese hier leichte Kost wäre, aber gerade stilistisch war es eine große Überraschung, weil es doch in eine ganz andere Richtung ging als zunächst gedacht. Wenn Du probehalber mal die erste Seite des Romans anliest, wirst du gleich sehen, was ich meine, die Art, wie Red Dock erzählt, rockt wirklich und ist defintiv ganz anders als von mir zuvor gedacht.
Danke! <3
Schnüff… ich find das Buch grad nicht. Ich muss wohl in die Tiefen meines Regals hinabsteigen. Ich hab grad so Lust, das auch zu lesen und find es nicht! Wie schrecklich.
Aber ich hab eine online Leseprobe gelesen… ahhh – ich muss es finden!
On nein, was für ein Dilemma! Gerade wenn man es schon angelesen hat, herrje, I feel you!! (Halte mich jetzt ja auf dem Laufenden, ob Du es findest!)
Gefunden, gefunden, gefunden, gefunden, gefunden…. Juchu!
Puah, gerade nochmal gut gegangen! 😂 Dann viel Spaß mit Red Dock! 🤗
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