Aufmerksam geworden durch eine aufwendig gestaltete Doppelseite in der Programmvorschau des Knaur Verlages, versprach ich mir von Oliver Ménards »Federspiel« nach dem Lesen des Klappentextes dann doch erst einmal keine allzu großen Überraschungen. Eine junge Frau (Moderatorin) wird entführt, eine andere junge Frau (Journalistin) nimmt die Verfolgung auf und alles hängt irgendwie mit einem Serienmörder aus DDR-Zeiten zusammen und spielt in Berlin und Umgebung. Hmhm, na ja, warum nicht. Ein Berlin-Thriller, ein Serienmörder-Thriller wie man ihn sich eben so vorstellt. Mal schauen!
Komfortzone
Und gleich zu Beginn kam ich nicht umhin, mich an »Der Federmann« von Max Bentow erinnert zu fühlen. Und das nicht allein aufgrund des Buchtitels. Beiden Autoren machen sich ganz listig daran, dem Leser ein Unbehagen in der eigenen Wohnung zu verschaffen. Denn wenn der Mörder seinem Opfer in seiner häuslichen Umgebung auflauert, ist das auf eine ganz perfide Art schauerlich. Wer mag schon die Vorstellung, dass sich beim Nach-Hause-Kommen ein Eindringling hinter einem Vorhang im Schlafzimmer versteckt oder, während man ein heißes Bad nimmt, durch die Wohnung schleicht! Wer eine rege Fantasie hat, bekommt hier schnell Kopfkino und überlegt, ob beim Betreten der Wohnung vor ein paar Stunden nicht irgendetwas ungewöhnlich war. Als Einstieg in einen Thriller so simpel wie wirkungsvoll.
Fernsehsternchen
Und so beginnt »Federspiel« mit der Entführung der jungen Fernsehmoderatorin Sarah Wagner. Als Tochter eines vermögendes Anwalts mit Beziehungen ist sie trotz ihres nur mäßigen Talents das Gesicht einer Livestyle-Sendung bei einem privaten Fernsehsender. Als ihr Verschwinden für die Polizei keinerlei Anhaltspunkte auf Fremdeinwirkung ergibt, ist es ihr Chefredakteur, der ein freiwilliges Abtauchen seines Sternchens für ausgeschlossen hält und an ein Verbrechen glaubt.
Und frei von jedweden edlen Motiven, nur auf der Jagd nach der großen Story, will er die Ausnahme-Journalistin Christine Lenève damit beauftragen, nach Sarahs Verbleib zu forschen. Die wird damit zur Hauptfigur des Thrillers und stößt bei ihren Recherchen auf einen alten Kommissar aus der ehemaligen DDR. Seit 18 Jahren im Ruhestand und ein Wrack, gibt es für Erik Bergmann nur eine Sache, die ihn seinen Hintern wieder in Bewegung setzen lassen würde: Der Fall Ikarus. Ein Serienmörder, den Bergmann zu seiner aktiven Zeit nie überführen konnte, weil ihn das System daran hinderte. Und Christines Suche nach Sarah Wagner scheint sie direkt zu Bergmann und Ikarus zu führen.
Bye, bye, DDR!
Jetzt geht an dieser Stelle ein eigentlich sehr spannendes Thema los. Die Vertuschung von Gewaltverbrechen in der DDR ist ein weites Feld, taugt sicherlich zum Polit-Thriller, hätte aber auch in diesem Serienkiller-Thriller ganz wunderbar für einen spannenden Plot sorgen können. Nun muss ich es als Leser aber natürlich dem Autor überlassen, mir die Geschichte so zu erzählen, wie er es sich gedacht hat. Und Oliver Ménard hat sich für das »Federspiel« noch ein paar andere Sachen zurechtgelegt, die dem Thriller im zweiten Drittel eine überraschende, ja vielleicht sogar innovative, oder auch mutige Wendung verpassen, mit der ich aber nicht glücklich wurde.
Ich habe dem abgewürgten Potential der DDR-Thematik ein wenig nachgetrauert. Da war jede Menge zu holen, aber die Story ging einen anderen Weg, ich blieb auf meinem DDR-Vertuschung-Thema-Pfad stehen und schaute der Handlung traurig hinterher. Vielleicht hab ich auch deshalb das Finale nur aus der Ferne beobachtet, war nicht wirklich gepackt und der anfängliche Jubel verhallte über die Distanz.
Die runde Sache
Um den Jubel aber noch einmal zurückzuholen, es gab zwei Dinge in »Federspiel«, die mich sehr begeistert und auch die schlussendlich ja sehr positive Bewertung des Buches zur Folge haben. Da wäre zum einen die Schreibe von Oliver Ménard. Das war einfach eine runde Sache. Da stimmte das Tempo, die Atmosphäre, der Wortfluss, der Sprachwitz, das hat einfach einen schönen Eindruck hinterlassen, ich habe dem Autor gerne zugehört.
Das zweite Plus an »Federspiel« war für mich Christine Lenève. Ich brauche an und für sich in Romanen keine Figuren, die ich sympathisch finde. Ich reibe mich auch gern an den Charakteren, finde sie abstoßend, lass mich von ihnen reizen, solange sie mich nicht langweilen. Christine Lenève besaß für mich allerdings einen ungewöhnlich hohen Sympathiefaktor. Ich kann das gar nicht an einzelnen Details festmachen und es ist ja auch nur eine sehr subjektive Wahrnehmung. Aber ihr ganzes Auftreten, clever, verschlossen, selbstbewusst, irgendwie unerschrocken leichtsinnig, versteckt melancholisch, betrübt und trotzdem energisch, das hat für mich gepasst. Auch die Beziehung, die sie zu dem alten Kommissar aufbaut, hat viel Schönes. Irgendwo zwischen Mentor und Großvater sortierte er sich da ein. Ihr Sidekick Albert hingegen, ein Hacker und alter Freund, hätte ein wenig mehr Profil und weniger Klischee vertragen können.
Wie die Amélie
Christine selbst wird an einer Stelle im Roman beschrieben als die dunkle Version derHauptfigur Amélie aus »Die fabelhafte Welt der Amélie«. Ihr Vater war Franzose, auch dazu gibt es eine Geschichte, die in Ansätzen erzählt wird, aber in ihren Details noch offen bleibt. Und da am Ende von »Federspiel« alle Pfeile in Richtung Fortsetzung zeigen, dürfe es kaum überraschen, aber den ein oder anderen vielleicht erfreuen, dass bereits ein zweiter Band in Vorbereitung ist.
Fazit: Auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass »Federspiel« inhaltlich seinen Schwerpunkt anders gesetzt hätte, um ein paar Klischees zu umschiffen (Ja ja, hätte, hätte, Fahrradkette!), sieht man an der positiven Bewertung, dass ich meinen Spaß mit dem Buch hatte. Schreibstil und Hauptfigur hatten für mich einen hohen Unterhaltungswert.
Bewertung: 3,9 Punkte = 4 Sterne
Stil: 4/5 | Idee: 5/5 | Umsetzung: 3/5 | Figuren: 4/5
Plot-Entwicklung: 3/5 | Tempo: 5/5 | Tiefe: 4/5
Komplexität: 3/5 | Lesespaß: 4/5 | = 3,89 Punkte
Oliver Ménard – Federspiel
Originalausgabe
September 2015 im Knaur Verlag
Taschenbuch | 384 Seiten | 9,99 EUR
Genre: Thriller
Schauplatz: Berlin und Brandenburg
Reihe: Christine Lenève #1
Hey Philly,
lieber "Der Federmann" oder "Federspiel"? :/ Federmann will ich schon soo lange lesen, aber irgendwie halte ich mich selber davon ab 😀
Alles Liebe ♥
Geht beides gut! Spielen beide in Berlin! 😀 Sind zwar ganz unterschiedliche Figuren und Themen, aber im Prinzip eine Bauart.
Bei dieser interessanten Doppelseite wäre ich mit Sicherheit auch auf das Buch aufmerksam geworden und hätte es mir näher angeschaut.
Ich muss aber sagen, dass ich nach deiner Rezension nicht so überzeugt von dem Buch bin. Es klingt mir ein bisschen zu politisch und auch mit der DDR Thematik hab ich es nicht so. Gehört zwar zur deutschen Geschicht und es ist schon wichtig darüber informiert zu sein, aber irgendwie hat mich das nie so interessiert.
Da könnte ich Dich beruhigen, ernsthaft politisch ist dieser Thriller nicht und die DDR-Thematik wird ja wie gesagt (leider) beizeiten abgewürgt, es ist ein ganz klassischer Serienkiller-Thriller! 🙂