Im Wald von Sparrowswick Heath ist mächtig was los. Abie, ein vierjähriger und entschlossener Junge, durchstreift gerade mit seiner Spielzeugflinte das Unterholz, als plötzlich Schüsse und Stimmengewirr durch den friedlichen Nachmittag brechen. Wenig später stößt Abie auf einen Mann, der auf dem Waldboden liegt und in den Himmel starrt. Er blutet aus einer Wunde am Kopf und lässt ansonsten sämtliche Vitalzeichen vermissen. Offenbar ist dieser Mann tot. Abie beschließt, sich lieber auf den Heimweg zu machen.
Der Captain und das Kaninchen
Derweil hockt der alte Captain Wiles, ehemals Kahnführer auf der Themse, mit einem richtigen Gewehr auf dem Ast einer alten Eiche. Er pafft seine Pfeife und hofft, ein Kaninchen zu schießen. Auch wenn er sich nicht zur Gänze sicher ist, wie ein lebendiges Kaninchen überhaupt aussieht, und, ich zitiere, er deshalb vorsorglich »drei Schüsse auf bewegliche Objekte abgefeuert [hat], bei denen es sich möglicherweise um Kaninchen […] handelte.« Merken wir uns die Anzahl der Schüsse, das wird später noch interessant. Und man ahnt an dieser Stelle vielleicht schon, worauf die Sache hinauslaufen könnte.
Nun sind im Wald von Sparrowswick Heath aber nicht nur der kleine Abie, der alte Captain und der tote Mann an diesem Nachmittag anzutreffen. Auch zwei Eheleute ohne ihre jeweiligen Ehepartner, dafür aber in gemeinsamer trauter Zweisamkeit.
Außerdem ein Landstreicher, ein Doktor auf Schmetterlingsjagd, ein Maler und eine ältere, alleinstehende Dame. Und später auch noch die Mutter vom kleinen Abie. Die reagiert dann auch völlig positiv auf die Leiche. Als sie von ihrem Sohn zu dem toten Herrn geführt wird, erkennt sie doch in ihm einen gewissen Harry. Und beschließt, dass es keinen Grund gibt, in dieser Sache in irgendeiner Form aktiv zu werden.
Der tote Harry
Ganz anders sieht das der alte Captain. Der fürchtet, den Tod von Harry verschuldet zu haben und möchte sich der Leiche lieber entledigen, bevor eventuell die Behörden darauf aufmerksam werden. Man will ja Unannehmlichkeiten meiden. Doch noch bevor er den toten Harry in den Rhododendron ziehen kann, tauchen nacheinander oben genannte Personen auf und treffen den Captain in dieser recht kompromittierenden Situation an.
Allerdings, und hier geht der Spaß dann los, reagiert keine der auftretenden Figuren so, wie man es angesichts dieser Sachlage für gewöhnlich erwarten würde. Besonders in dem ortsansässigen Maler Sam findet Captain Wiles einen unerwarteten Verbündeten.
Und jetzt reiht Autor Jack Trevor Story (1917-1991) aber nicht nur eine Reihe kurioser und grotesker Begegnungen aneinander, sondern spinnt die Geschichte noch ein Stück weiter. Er erzählt von der kleinen Dorfgemeinschaft in dem abgelegenen Ort auf dem englischen Land, schaut ganz spitzbübisch auf diese Gesellschaft. Und spielt dabei mit klassischen Krimielementen, indem er sie ins Absurde kehrt. Während sonst die Suche nach dem Mörder im Fokus steht, kümmert es hier eigentlich niemanden groß, wie der tote Harry auf den Waldboden gelangte. Weg muss er dort aber schon.
Dialogkunst
Jack Trevor Story entwickelt daraus eine Schwarze Komödie, wie sie eigentlich kaum schöner sein könnte. Es ist ein feiner und sehr trockener, vornehm böser Humor. Und eine gänzlich unaufgeregte Erzählweise, die mich stellenweise an das Absurde Theater erinnerte. In der Schule hat bei mir in diesem Zusammenhang Eugene Ionescos Stück »Die kahle Sängerin« nachhaltigst Eindruck hinterlassen. Die teilweise eher unfreiwillige Komik in den Szenen trieb mir Lachtränen in die Augen, wie es seinerzeit zuvor noch kein Reclamheftchen vermochte.
Und auch hier im Roman »Immer Ärger mit Harry« fühlte ich mich bei einigen Dialogen und Szenen, die zwischen absurd und grotesk einfach sehr sehr lustig waren, an diese ganz eigene, wenngleich ebenso unbestechliche Logik erinnert.
Im Übrigen konnte man sich während der gesamten Lektüre die Handlung lebhaft eins zu eins auf der Theaterbühne vorstellen. Das Komödienhafte an dieser Erzählung, die pointierten Dialoge, das verselbstständigt sich im Kopf und spricht für die Dynamik in dieser Geschichte.
Verfilmt von Alfred Hitchcock
Wenig verwunderlich also, dass dieser Stoff verfilmt wurde. Und zwar von keinem geringeren als Alfred Hitchcock. »Immer Ärger mit Harry« zählt zu Hitchcocks wenigen Komödien, hat aber dem Roman, so ein kleiner Begleittext am Ende des vorliegenden Buches, zu Berühmtheit verholfen.
Der Film erschien im Jahr 1955 unter Hitchcocks Regie und ist eine gelungene Umsetzung der Romanvorlage. Einige Freiheiten gönnt sich der Film. Er tauscht hier und da etwas im Personal, verlegt die Handlung vom englischen Land ins herbstliche, us-amerikanische Neuengland, hält sich aber insgesamt doch sehr nah an Jack Trevor Storys Geschichte.
Man kann diesen Film stellenweise sogar extrem großartig finden, zumindest erging es mir so, allerdings muss man den Humor und den Sinn für gut sitzende Dialoge wirklich dem Roman zuschreiben, das ist sein Verdienst. Hier wurde teilweise, was ich sehr erfreulich fand, im Drehbuch wirklich wortwörtlich gearbeitet, sodass vom Charakter der Erzählung sehr viel erhalten bleibt. Am Ende ist der Humor im Roman aber etwas kunstvoller, leichter gelungen. Im Film wirkt er an manchen Stellen ein wenig zu kalkuliert.
Starke Besetzung
Dennoch macht der Film wirklich Spaß. Er ist zudem famos besetzt und die Charakterausarbeitung der Figuren war für mich ein ganz große Pluspunkt. Allen voran Edmund Gwenn (»Das Wunder von Manhattan«, 1947), der den alten Captain Wiles mit einer Mischung aus trotteliger Liebenswürdigkeit und resoluter Gelassenheit spielt und dem man den trockenen Humor abkauft wie ein Glas Limonade an einem heißen Sommertag. Auch John Forsythe, der den Künstler Sam mimt und jede noch so absurde Situation mit einer Ernsthaftigkeit quittiert, die einen ein X für U verkaufen könnte, funktioniert hier toll.
Als alleinerziehende Mutter des kleinen Abie gibt Shirley MacLaine (»Zeit der Zärtlichkeit«, 1983) in »Immer Ärger mit Harry« ihr Filmdebüt, spielt ihre Figur im Vergleich zur Romanvorlage aber einen Tick zu kindlich und unbedarft. Das wirkte im Roman deutlich resoluter und selbstbestimmter. Komplettiert wird das Vierergespann im Film durch die alleinstehende Miss Gravely, die von Mildred Natwick (»Barfuß im Park«, 1967) sehr treffend verkörpert wird.
Und nun?
Während der Film sich am Ende dann auf die Liebesgeschichten fokussiert, dabei aber trotzdem konsequent den wunderbaren Schwarzen Humor pflegt, setzt der Roman seinen Schwerpunkt auf den trockenen Humor und die damit vorgeführten Szenen zwischen Grotske und Absurdem.
Der Film unterhält mit seiner einen Stunde und 39 Minuten Spielzeit aber ganz vortrefflich. Er hat keinerlei Längen und lässt einen Filmabend flugs vergehen. Der Roman ist mit seinen angenehm großzügig gesetzten 189 Seiten ein ebenso flottes Vergnügen, hat für mich im direkten Vergleich aber ganz knapp die Nase vorn. Nicht zuletzt, weil der Film seinen gut sitzenden Witz vor allem der trefflichen Romanvorlage zu verdanken hat.
Fazit: Eine Schwarze Komödie und auch ein feiner Krimi, großartig grotesk und absurd, amüsant, very british und very nice! Ich mochte »Immer Ärger für Harry« sehr. Die Erzählung ist spitzbübisch und rabenschwarz und hat wundervoll pointierte Dialoge und Szenen zu bieten. Der Roman liegt mit dieser Ausgabe erstmalig überhaupt in deutscher Übersetzung vor, was durchaus überrascht und gleichzeitig sehr froh stimmt, da man hier eine kleine Perle fürs Bücherregal ergattern kann.
Jack Trevor Story – Immer Ärger mit Harry
Originalausgabe »The Trouble with Harry« (1949)
übersetzt von Miriam Mandelkow
Februar 2018 im Dörlemann Verlag
Gebunden, Leinen | 192 Seiten | 17,00 EUR
Genre: Schwarze Komödie, Kriminalroman
Reihe: Einzelband
Schauplatz: England
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