Anne Goldmann – Lichtschacht

Lena mag es gerne ordentlich. Sortiert. In ihrem Leben, in ihrer Wohnung. Die gehört ihr aber gar nicht. Lena ist neu in Wien und wohnt den Sommer über in der Wohnung einer alten Freundin, die verreist ist. Die Welt entdecken, irgendwo in Südamerika. Vielleicht auch woanders. Das kann man bei der Freundin immer nicht so genau sagen. Bei Lena schon, Lena ist zuverlässig, gründlich.

 

Aus Drei mach Zwei

Vorläufig hält Lena sich mit Nebenjobs über Wasser, kümmert sich um Katzen und Pflanzen von Verreisten, hat eine Teilzeitstelle in einem kleinen Laden, der Kleinmöbel und Dekoartikel für Designliebhaber anbietet. Sie mag den Job, hat ein Händchen für die Kunden und die Präsentation der Waren.

Abends kehrt sie allein in die geborgte Behaglichkeit der Dachgeschosswohnung ihrer Freundin zurück. Lena genießt die Ruhe, sie ist ein stiller Typ, vorsichtig, ein bisschen Gesellschaft ab und an wäre aber doch schön. Sie kennt noch niemanden in der Stadt, hat noch keine Bekanntschaften machen, keine Freundschaften schließen können. Die Einsamkeit und die Isolation nagen an ihr.

Und seit diesem einen Abend auch die Paranoia. Ein schöner Aprilabend , ein alter Joint, den die Freundin zurückgelassen hat. Eigentlich nicht Lenas Art, sie verträgt das nicht. Und dann prompt schickt sie ihr Kopf in die Unsicherheit. Auf dem Dach gegenüber saßen eben noch drei Leute, ein Mann, zwei Frauen, haben wohl etwas gefeiert, auf etwas angestoßen, eine Flasche fällt vom Dach. Und dann, so kurz der Moment, in dem sie nicht hingeschaut hat, statt der drei Menschen, sind es jetzt nur noch zwei, die dort sitzen.

Wo ist die andere Frau hin? Von Lenas eigener Aufregung ist bei den beiden auf dem Dach nichts zu spüren, ganz normal sitzen sie da. Also kein Unfall, keine Hektik, keine Sirenen. Lena sah ja auch keinen Sturz, nur sie sieht eine einfache Rechnung. Eben saßen dort noch drei Menschen, jetzt sind es nur noch zwei.

 

Allein, allein

Keine vier Seiten später macht die Autorin dem Leser klar, Lena hat einen Mord beobachtet. Weiß dies aber nicht. Und zweifelt an dem, was wahr ist und was Täuschung. Damit arbeitet der Roman auf weiten Strecken. Die Männer in ihrem näheren Umfeld werden zu potentiellen Tätern. Der zweite Erzählstrang botet den anderen förmlich aus, verrät dem Leser minimal mehr als der Protagonistin und begleitet einen namenlosen Täter.

Ein vertrautes Erzählmuster, mag man jetzt denken, aber nicht, wie es Anne Goldmann hier angeht. Mit sehr viel Rafinesse. Und Feingefühl, sowohl für die Charakterführung als auch für die Sprache. Dabei wirkt das auf den ersten Blick ganz schlicht, ist aber tatsächlich ein wunderbarer Drahtseilakt um die Identität des Mörders.

Die Figur Lena ist dabei die zentrale Person in »Lichtschacht«, über sie transportiert der Roman eine Menge Emotionen, Stimmungen. Gerade zu Beginn dominieren zwei Gefühle die ersten Seiten, die Einsamkeit und die Paranoia der jungen Frau. Dabei baut sich rasch ein sehr dichtes Verhältnis auf, zumindest erging es mir so, auch wenn der Roman einem immer wieder Gelegenheit gibt, mit dem Verhalten der Protagonistin zu hadern und zu zaudern. Trotzdem hat sie mich gepackt, hat mich in die Geschichte gezogen.

 

Das Spiel

Und auch wenn mich der Plot vielleicht nicht an allen Stellen zu einhundert Prozent überzeugt hat, war er wunderbar erzählt, mit einem tollen, eigenen Rhythmus und einer feinen Spannungskonstante. Die Autorin spielt bis zum Schluss sehr geschickt mit der Identität des Täters, weiß um die Stärken und Schwächen ihrer Figuren und nutzt diese gezielt, um den Leser bestmöglich zu irren.

Mir hat das Buch den Triumph gegönnt, mit meiner anfänglichen Vermutung richtig zu liegen, und ich hatte das Gefühl, dass das auch ganz bewusst so inszeniert war. Das funktionierte wie Katzenminze, nur eben für Leser. Ein feines Spiel.

 

Fazit: Ich denke, so definiere ich einen gelungenen Psychothriller, oder auch Psychokrimi. »Lichtschacht« ist ein sehr spannend geschriebener Drahtseilakt um die Identität eines Täters und um die junge Lena, die, noch neu in Wien, in ein hitchcockwürdiges Szenario gerät. Ein Roman zwischen urbaner Melancholie und Wiener Schmäh, mit erzählerischer Rafinesse und einem beeindruckend schönen, eigenen Sprachrhtyhmus.

 

In Zahlen: Stil: 4/5 | Idee: 4/5 | Umsetzung: 3/5 | Figuren: 3/5 | Plot-Entwicklung: 4/5 | Tempo: 4/5 | Tiefe: 4/5 | Komplexität: 4/5 | Lesespaß: 5/5

 


© Ariadne Krimi
Anne Goldmann – Lichtschacht

Originalausgabe

April 2014 bei Ariadne Krimis (Argument Verlag)

Taschenbuch | 288 Seiten | 12,00 EUR

Genre: Roman, Kriminalroman, Psychokrimi

Reihe: Einzelband

Schauplatz: Wien

 

 

 

 

Weitere Besprechungen zu »Lichtschacht« u.a. bei:

Die dunklen Felle: »… ein raffinierter Krimi, der von einer unheimlichen und durchgehenden Spannung gespeist wird.«

Zeilenkino: »Lena ist als Charakter mit ihren Ecken und Widerhaken faszinierend rund und die Mischung aus Suspense und Selbstfindung ist überzeugend.«

 

 

Weitere Besprechungen zu Romanen von Anne Goldmann auf diesem Blog:

Anne Goldmann – Das größere Verbrechen

 

 

Ein Kommentar zu “Anne Goldmann – Lichtschacht

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