Mitte November habe ich hier auf dem Blog einen Krimi vorgestellt, der bei mir für doch recht euphorische Beifallsbekundungen gesorgt hatte. »Die Wasserratte von Wanchai« von Ian Hamilton war das Objekt der Freude, erster Band der Reihe um die Ermittlerin für monetäre Verluste Ava Lee.
Nun soll es heute um den fünften Band der Reihe gehen, »Der schottische Bankier von Surabaya« und da das ein gar nicht mal so kleiner Sprung ist, kurz ein bisschen editorischer Kontext.
Verlagswechsel
Die Ava-Lee-Reihe von dem kanadischen Autor Ian Hamilton erschien in deutscher Übersetzung bisher im Schweizer Verlag Kein & Aber. Dort liegen dann aktuell – und vorsichtig, jetzt wird es a bissl durcheinander – auch der erste Band »Die Wasserratte von Wanchai« und der vierte Band »Der Rote Stab von Macao« als Taschenbuch vor. Band zwei und drei »Der Jünger von Las Vegas« und »Die Bestien von Wuhan« sind ebenda als eBook verfügbar. Printausgaben davon kann man noch antiquarisch erstehen. Zur optischen Unterstützung findet sich am Ende dieses Beitrags noch einmal eine Aufreihung der Romane.
Mit dem fünften Band wechselt die Reihe nun zum Berliner Verlag Krug & Schadenberg. »Der schottische Bankier von Surabaya« ist dort in diesem Herbst erschienen, der sechste Band »Die zwei Schwestern von Borneo« soll im Frühjahr 2019 folgen. Sollte die Reihe, die im englischsprachigen Original bereits erfreulich umfangreiche Ausmaße angenommen hat, dort ein neues, festes Zuhause finden, fände ich das schwer in Ordnung.
Who’s that girl
Denn Ava Lee ist als Serienfigur für mich an dieser Stelle eine echte Entdeckung. Die Geschichten rund um eine Wirtschaftsprüferin, die sich auf Schuldeneintreibung spezialisiert hat und gemeinsam mit einem greisen Geschäftspartner diverse Möglichkeiten ausreizt, um ihren Klienten das Geld, um das sie betrogen wurden, wiederzubeschaffen, haben einige Feinheiten und wirken trotzt ihres eher unauffälligen Stils inhaltlich sehr dynamisch.
Allem voran ist es Ava Lee selbst, die diese Geschichten trägt. Mit ihrem Auftreten, ihrer kühlen und besonnenen Art. Eine zielstrebige, hartnäckige und effiziente Schuldeneintreiberin, die relativ unbeirrbar ist, wenn sie einmal einen Auftrag angenommen hat.
Ava Lee stammt aus einer traditionellen und wohlhabenden chinesischen Familie, wuchs in Toronto auf und lebt heute auch noch dort. Sie reist oft nach Hongkong, wo ihr Geschäftspartner, Mentor und großväterlicher Vertrauter »Onkel« lebt und sein weltumspannendes Netzwerk an Kontakten unterhält. In den zehn Jahren ihrer Zusammenarbeit sind es vor allem Respekt und eine tiefe Verbundenheit, die die beiden einander entgegenbringen.
Money, money, money
»Der schottische Bankier von Surabaya« knüpft dann auch relativ nahtlos an die Ereignisse aus seinem Vorgänger-Band »Der Rote Stab von Macao« an. Ava Lee erholt sich noch von den gesundheitlich strapaziösen Bemühungen, ihrem Bruder aus einem finanziell ruinösen Investitionsbetrug herauszuhelfen. Und ist sich ernstlich uneins darüber, ob sie diesen Beruf zu diesen Bedingungen weiter ausüben will. Das hat bei Ava Lee relativ wenig mit eventuellen Mimositäten ob ihrer Verletzungen zu tun, vielmehr ist es eine grundsätzliche Überlegung, wie es in ihrem Leben weitergehen soll.
Just in dieser Phase des inneren Zwiespalts reagiert die sonst eher arbeitswütige Ava Lee entsprechend widerwillig und ablehnend, als ihre Mutter sie bittet, einer Bekannten bei einem Geldproblem behilflich zu sein. Ein scheinbar geplatzter Fonds hat besagte Bekannte und zahlreiche Mitglieder einer Gruppe vietnamesischer Geschäftsleute um etliche Millionen gebracht. Der Makler ist verschwunden, das Geld auch.
Trotz ihrer anfänglichen Abneigung übernimmt Ava letztlich diesen Auftrag, der sie erst nach Vietnam und dann nach Indonesien, in die Hafenmetropole Surabaya führt, wo sie auf eine dubiose Bank und einen schmierigen, schottischen Bankier trifft. Eine folgenschwere Begegnung. Und der Stich in ein Wespennest voll illegaler Geldgeschäfte und gefährlicher, einflussreicher Gegner.
Die Büchse der Pandora
Zum Inhalt will ich dann auch gar nicht weiter viel erzählen, weil sich die Handlung in »Der schottische Bankier von Surabaya« wirklich kontinuierlich weiterentwickelt und immer wieder neue Ereignisse lostritt, man quasi wie bei einer Matrjoschka Schicht um Schicht freilegt und die Geschichte immer weitere Kreise zieht.
Denkt man zu Beginn noch, Ava Lee würde ihrer Mutter zum Gefallen und eigentlich nur aus Höflichkeit und mit leichtem Widerwillen einer Bekannten und deren vietnamesischer Community helfen, nach einem dummen Geldanlagefehler das zu retten, was noch zu retten ist, ahnt man nicht, welches Ausmaß dieser Fall letztlich erreichen und welche Rolle er in Ava Lees weiterem Leben spielen wird.
Mich haben tatsächlich zwei Ereignisse im Roman kalt erwischt und sehr berührt, die ich hier auf gar keinen Fall näher benennen werde, die aber eine Emotionalität in den Roman bringen, auch in die Figuren, die ich so bisher vom ersten Band »Die Wasserratte von Wanchai« gar nicht und vom vierten Band »Der rote Stab von Macao« nur in Ansätzen kannte. Das war ein Stück weit überraschend – im positiven Sinne – und wir reden hier immer noch von der toughen und rationalen Ava Lee, dementsprechend bewegt sich auch der Grad der Emotionalität auf dieser Charakterebene. Aber ich mochte das insgesamt sehr, weil es eine Art Weiterentwicklung für die Reihe bedeutet, ohne ihren Stil über den Haufen zu werfen. Somit kann man »Der schottische Bankier von Surabaya« schon als eine Art Bruch, Wendepunkt und Einschnitt bezeichnen.
Vorgeschichte
Insgesamt gab es vielleicht einen Punkt, den ich ein wenig schwierig fand. Dieser Band braucht doch ein wenig Vorlauf, um in die Gänge zu kommen. Das mag zum einen handlungsbedingt der Situation Ava Lees geschuldet sein und somit durchaus seine dramaturgische Berechtigung haben. Gerade im ersten Drittel aber erzählt der Autor noch einmal relativ ausführlich Ava Lees Vorgeschichte, ihren beruflichen Werdegang, ihre komplexe Familiengeschichte. Das ist durchaus zuvorkommend und erleichtert neuen Lesern den Zugang oder frischt auf, wo das Lesen länger zurückliegt.
Wenn man jedoch die Reihe recht präsent im Gedächtnis hat, wirken einige dieser Passagen schnell redundant und ausbremsend, da sie zum Teil wortwörtlich die Inhalte der Vorgänger wiedergeben, die Ava Lees Vita betreffen. Das hätte man eventuell etwas eleganter lösen können.
Dafür wird der Roman dann aber schnell dichter und intensiver, ist stark plotgetrieben und hat einen tollen Drive. Am Ende erinnert man sich nur dunkel, dass der Roman zu Beginn etwas Anlauf brauchte. Es spielt auch keine Rolle mehr, weil einen in der Zwischenzeit die Geschehnisse doch völlig für sich vereinnahmt haben.
I’m in love
Wenn man es also einmal herunterbricht, dann finde ich die Idee einfach schlichtweg großartig, eine Wirtschaftsprüferin als Protagonistin zu nehmen, die dann als Schuldeneintreiberin um die halbe Welt reist und Geldsummen wiederbeschafft, die weit weit jenseits meiner Vorstellungskraft liegen. Die durch ihren Mentor Kontakte und Zugang zu diversen legalen und illegalen Instanzen und Mitteln hat und diese zu nutzen weiß. Die von einer unglaublichen Willensstärke geprägt ist, die rational, effizient und tough ist.
Diese Figur feiere ich gerade wirklich sehr, auch weil sie letztlich so unprätentiös inszeniert ist, trotz der Upperclass-Umgebung, in der die Fälle spielen. Dazu liefert die kulturelle Komponente dem Roman einen spannenden Hintergrund. Die Schauplätze und Destinationen im asiatischen Raum schaffen ein tolles, interessantes und weites Setting. Gleichzeitig spielt auch die chinesische Tradition ihre Rolle. Für mich stimmt hier dann auch einfach die Chemie zwischen diesen ganzen Elementen und letztlich ist es Ava Lees starke Präsenz, ihre Willensstärke, ihr Spürsinn und ihre Effizienz, die diese Reihe prägen und sie mir so lieb und teuer machen.
Ian Hamilton – Der schottische Bankier von Surabaya
Originalausgabe »The Scottish Banker of Surabaya« (2013)
übersetzt von Andrea Krug
Oktober 2018 bei Krug & Schadenberg
Klappenbroschur | 448 Seiten | 19,90 EUR
Genre: Kriminalroman
Reihe: Ava Lee #5
Schauplätze: Kanada, Indonesien, Vietnam, Hongkong
Weitere Besprechungen zur Ava-Lee-Reihe auf diesem Blog:
Ian Hamilton – Die Wasserratte von Wanchai (Ava Lee #1)
Weitere Besprechungen zu »Der schottische Bankier von Surabaya« u.a. bei:
Die dunklen Felle: »Ein perfektes Leseerlebnis rund um Privatdetektivin Ava Lee, die dem Weg des Geldes folgt und dabei nicht nur auf langweilige Wirtschaftskriminelle stößt.«
Life4Books: »Ava Lee ist wirklich ein Charakter, den man begleiten möchte, der einen nicht mehr so schnell loslässt.«
Die Romane um Ava Lee im Überblick:
Pingback: Ian Hamilton - Die Wasserratte von Wanchai
Wow! Eine tolle, differenzierte Besprechung! Ich bin beeindruckt. Und möchte mich herzlich bedanken. Auch für die schöne Empfehlung, die das Ganze abrundet.
Vielen, vielen Dank für das persönliche Feedback! Es ist ein großes Vergnügen, über Ava Lee zu schreiben, ebenso die Reihe in ihren Händen zu wissen! Ich bin vermutlich ein klein wenig süchtig geworden und freue mich auf weitere Bände! 🙂
Die kommen! Wir geben alles! Ich habe momentan eine andere Übersetzung auf dem Tisch, aber dann kommt die nächste Ava Lee – freue mich schon auf die Herausforderung!
Das klingt großartig, ich drücke die Daumen für einen runden Arbeitsprozess und freue mich tierisch auf das Ergebnis! 🙂
Ach, manchmal bin ich schon sehr neidisch, wie wortgewandt Du manche Geschehnisse in Büchern beschreibst und verpackst. Die beiden Ereignisse, die Dich “kalt erwischt und sehr berührt” haben sind mir auch aufgefallen, aber ich hab das bei weitem nicht so gut umschreiben können, was daran das Besonderes war und mich hat Schlucken lassen.
Interessant ist aber, dass Dir am Anfang zu viele wiederholende Elemente aus dem Vorgänger begegnet sind. Da ich erst mit dem 5. Teil eingestiegen bin, empfand ich das natürlich anders – ich bin aber darauf gespannt, wie mir dann der Vorgänger gefällt, auf den dann viel verwiesen wurde.
So und abschließend, nur um nochmal zu unterstreichen, dass ich ein absolutes Mitglied im Ava Lee Fanclub bin, noch eine kurze Anekdote: seit Anfang Januar hab ich vier Bücher angefangen und war unzufrieden, dann hab ich “Die Wasserratte von Wanchai” angefangen und schwups ausgelesen – mein Jahr ist gerettet! 😀
Ach die Verzweiflung, bloß nicht zu viel zu verraten, treibt manchmal Blüten, aber ganz lieben Dank! 🙂
Mhm, ja, auf jeden Fall, wenn man mit diesem Band einsteigt, dann sind die wiederholenden Elemente gar kein Thema, und ich denke, mir ist es einfach nur aufgefallen, weil ich drei Bände in kurzer Zeit gelesen habe. Ansonsten ist das schon sehr zuvorkommend vom Autor, da immer nochmal die Eckdaten abzustecken.
Haha, ja, solche Bücher sind das, glaube ich, die “Retter-Lektüre”, die einfach immer funktioniert und Spaß macht und flüssig ist und mit der man sich aus so ziemlich jeder Leseflaute ziehen kann! 😀