Kriminell Gelesenes – Martin Krists Krimikritik

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In seiner Kolumne “Kriminell Gelesenes ” stellt der Autor Martin Krist regelmäßig zum Monatsende seine aktuellen Lieblingsbücher vor – oder Bücher, die er lieber nicht gelesen hätte.

Dieses Mal mit dabei: Emma Donoghue, Andreas Pflüger und Don Winslow.


Buchcover Raum von Emma Donoghue
© Piper Verlag

Emma Donoghue – Raum

Keine Frage: Anfangs kostet es Mühe, der Geschichte des fünfjährigen Jack zu folgen, weil er dies auch mit den Worten eines Fünfjährigen tut, Sprachfehler inklusive. Gerade das aber macht schon bald auch den Reiz der Geschichte aus, wenn man erfährt, dass sich der vermeintlich »normale« Alltag von Jack und seiner Mutter seit Jahren in einem 12 Quadratmeter umfassenden Raum abspielt.

Nur gelegentlich kriegen die beiden Besuch von Old Nick, der ihnen Lebensmittel bringt, jeden Sonntag außerdem eine kleine »Überraschung«. Und manchmal geht er mit Jacks Mutter ins Bett. Das alles zu erleben ist schon klaustrophobisch und erschreckend genug. Denn Emma Donoghue denkt und fühlt sich für ihren vom Fall Fritzl inspirierten Roman eindringlich in die beschränkte Lebenswelt des kleinen Jack ein.

Die Autorin geht aber noch weiter: Als Jack und seiner Mutter die Flucht gelingt, wird Jack mit einer Welt konfrontiert, die er bislang nur durch Fernsehbilder und durch die Erzählungen seiner Mutter kannte. Eine riesige, verwirrende Welt, die ihm Angst macht, mehr Angst als der Raum. Fortan stellt sich nicht nur ihm, auch dem Leser die Frage: Was ist schlimmer – Freiheit oder Gefangenschaft?

Die Antwort fällt nicht leicht. Was auch für die Lektüre von »Raum« gilt. Die Verfilmung läuft seit dem 17. März 2016 im Kino.

Emma Donoghue – Raum | erschienen bei Piper | 9,99 €

 

Buchcover Endgültig von Andreas Pflüger
© Suhrkamp Verlag

Andreas Pflüger – Endgültig

Jenny Aaron, einst Mitglied der »Abteilung«, einer Eliteeinheit für den schnellen, effektiven Zugriff, ist seit einem missglückten Einsatz erblindet – und trotzdem ist sie sehend. Sie hat ihre verbliebenen Sinne geschärft und sich als Verhörspezialistin und Fallanalytikerin für das BKA einen Namen gemacht.

Als solche verlangt der mehrfache Frauenmörder Boenisch mit ihr zu sprechen. Aaron hat ihn einst gefasst, jetzt hat er im Knast seine Psychologin umgebracht. Sehr bald wird Aaron allerdings klar, dass Boenisch nicht ohne Grund nach ihr verlangte – und das auch er nur eine kleine Figur in einem großen Spiel ist, das weit, sehr weit in Aarons tragische Vergangenheit zurückreicht.

Andreas Pflüger weiß, worüber er schreibt, davon zeugt die ausführliche Danksagung an alle, die ihm bei den Recherchen zu »Endgültig« geholfen haben. Und das sind eine Menge Leute. Der Autor bringt dem Leser nicht nur das Schicksal, sondern auch die beachtlichen Fähigkeiten Blinder nahe. Er vermittelt außerdem einen tiefen Einblick in die Polizeiarbeit, in das Hickhack der Behörden, in die nervenaufreibende Arbeit der Einsatzkräfte, ihren Zusammenhalt, ihre Philosophie.

Das alleine macht »Endgültig« aber nicht so großartig: Es ist die Geschichte, durch die Pflüger den Leser mit geschliffener Sprache und schnellen Schnitten treibt. Es sind die fesselnden Figuren. Die dichte Atmosphäre. Die immer neuen Wendungen. Und eine Spannung, die bis zum Schluss anhält. Bis man endgültig erfährt, wer mit Aarons Leben spielt. Das ist ganz großes Thriller-Kino!

Und: Es geht mit Aaron weiter, wie der Autor ebenfalls im Nachwort verrät.

Andreas Pflüger – Endgültig | erschienen bei Suhrkamp | 19,95 €

 

Buchcover Germany von Don Winslow
© Droemer Knaur Verlag

Don Winslow – Germany

Was Don Winslow perfekt beherrscht: mit wenigen Worten Figuren zum Leben erwecken. Mit kurzen, prägnanten Sätzen eine dichte Atmosphäre schaffen. Aber das täuscht leider nicht darüber hinweg, dass man die Geschichte, die er in »Germany« erzählt, nicht schon dutzendfach anderswo gelesen hat.

Es geht um Charlie, Milliardär und ehemaliger Irak-Marine, dessen Frau Kim in Florida verschwunden ist. Als Charlies Kumpel Frank Decker, bekannt aus »Missing New York«, die Suche aufnimmt, findet er heraus, dass jeder, aber auch wirklich jeder in Kims Umfeld Dreck am Stecken hat. Die große Verschwörung sozusagen. So gut, so langweilig.

Da kann nicht einmal die Tatsache helfen, dass Deckers Spurensuche ihn schließlich nach Deutschland und dort ins Rotlichtmilieu führt. Mal abgesehen davon, dass sich alles, was Winslow über die deutsche Sexindustrie schreibt, wie ein Wikipedia-Artikel liest (vermutlich hat er daher auch sein Wissen), umfasst dieser Teil der Geschichte nur ein knappes, unbedeutendes Viertel des Romans. Zu wenig, als dass es den Titel rechtfertigen würde. Aber der ist vermutlich sowieso nur ein Zugeständnis an den deutschen Buchmarkt, auf dem Winslow erfolgreicher als anderswo ist.

Alles in allem ein schwacher Winslow.

Don Winslow – Germany | erschienen bei Droemer | 14,99 €

 

© Texte verfasst von Martin Krist


Autor Martin Krist schwarz/weiß

Der Autor dieser Kolumne:

Martin Krist, geboren 1971, lebt als Schriftsteller in Berlin. Er arbeitete viele Jahre als leitender Redakteur bei verschiedenen Zeitschriften. Seit 1997 ist er als Schriftsteller tätig. Nach mehr als 30 Sachbüchern, darunter die Biografie über die Hamburger Kiez-Ikone Tattoo-Theo, die Punk-Diva Nina Hagen, den Rap-Rüpel Sido und die Grunge-Ikone Kurt Cobain, schreibt er seit 2005 Krimis und Thriller.

www.martin-krist.de

 

 

6 Kommentare zu “Kriminell Gelesenes – Martin Krists Krimikritik

  • 30. März 2016 at 19:18
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    Raum fand ich auch beeindruckend, das Schwächste am Roman war für mich aber die Imitation der Sprache eines Fünfjährigen. Das wirkte auf mich aufgesetzt.

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  • 31. März 2016 at 21:23
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    "Endgültig" ist nun endgültig auf meiner Einkausliste gelandet 😀

    Und bei"Raum" werde ich mir wohl nur den Film angucken. Die kindliche Sprache schreckt mich einfach zu sehr ab 🙁

    Reply
  • 1. April 2016 at 17:34
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    Ich wollte Raum eigentlich immer mal lesen, hab es dann aber doch nie gemacht…finde das Thema schwierig, aber das soll die Autorin ja super umgesetzt haben. Den Aspekt mit der Sprache kann ich nachvollziehen!

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