James Sallis – Stiller Zorn

Kriminalroman Stiller Zorn James Sallis Dumont Verlag

Ich weiß auch nicht, ich glaube, so kann nur James Sallis Geschichten erzählen. Schreibt wenig, sagt dabei essenziell viel. Das haut mich um. Das prägt sich tief ein. Eine ganze Welt, ein ganzes Leben bringt er in »Stiller Zorn« auf noch nicht einmal 200 Seiten unter. Und dabei hat man das Gefühl, es wurden alle Tiefen ausgelotet, alle Höhen bedacht, alles Relevante wurde gesagt, selbst das Verschwiegene ist präsent, alles Bedeutende wurde erzählt. Reduziert, schlicht und dabei so umfassend. So ist dieser Kriminalroman.

 

Südstaaten-Charme und Südstaaten-Gram

»Stiller Zorn« erzählt von dem Privatdetektiv Lew Griffin. Die Straßen von New Orleans (die New Orleanser betonen übrigens immer die erste Silbe, wie man im Roman erfährt, hat mir sehr geholfen, ich betone grundsätzlich fast alles falsch) sind sein Arbeitsplatz, der Leser begleitet die Figur durch die zahlreichen Cafés, Bars und Kneipen der Stadt, in dunkle Gassen, ranzige Hotelzimmer.

New Orleans, Südstaaten-Charme und Südstaaten-Gram. Eine Stadt der bunten Vielfalt und der grauen Armut, viele verschiedene kulturelle Einflüsse prägen das Stadtbild und seine Bewohner. Auch Lew Griffin, beständig auf der Suche ist nach seinem Platz in der Welt, findet keinen richtigen Halt in der moralisch sumpfigen Erde der Stadt am Mississippi-Delta. Und doch ist es sein Zuhause, Griffin ein Kind dieser Stadt.

 

Der bittere Nachgeschmack

Dieser Hardboiled-Krimi wird in vier Episoden erzählt, die sich trotz großer Zeitsprünge zu einer sehr dichten und schlüssigen Handlung zusammenfügen. 1964, 1970, 1984 und 1990, aus diesen vier Jahren baut Autor James Sallis die Geschichte und das Leben des Privatdetektivs Lew Griffin auf. Zu Beginn des Romans ist Griffin 24, an dessen Ende 50. Die Biografie eines Protagonisten so aufzubereiten, dass sie Teil der Handlung selbst ist und nicht nur rückblickend Erwähnung findet, diese Erzählweise ist für mich nur einer der herausragenden Punkte an »Stiller Zorn«. Und macht dieses Werk zu einem Reihenauftakt im besonderen Stil.

In jedem der vier Abschnitte stellt eine Ermittlung, eine Vermisstensuche den Rahmen für die jeweilige Handlung. Und in jedem dieser Abschnitte ziehen sich die Figuren in einem Sog aus Drogen und Missbrauch in immer neue moralische Abgründe, die Fälle der vermissten Bürger- und Frauenrechtlerin Corene Davis, der verschwundenen Tochter eines einfachen Paares aus Mississippi, der verschollenen Schwester eines Bekannten und schließlich Lew Griffins eigener Sohn David enden alle sehr unterschiedlich, allen gemein ist aber ein bitterer Nachgeschmack.

Den hat auch Lew Griffin nach langen Nächten immer öfter, phasenweise auch schon mittags, das Leben ist, zynisch betrachtet, eben manchmal nur im Suff zu ertragen und so erlebt Griffin wieder und wieder Abstürze, pflegt seine On-Off-Beziehung zu der Prostituierten LaVerne und verliert beim Suchen mehr als er findet. Lew Griffin ist eine tragische Figur, ja, aber auch eine starke Figur, ein lässiger Typ, einer, der seinen Krempel gerne selbst erledigt, der sich auf wenig verlässt. Und der immer wieder aufsteht, das Durchhaltevermögen eines Ochsen beweist, ein Steh-auf-Männchen in einer Stadt, die so manchen niederstreckt.

 

Ein Debüt

James Sallis hat mit »Stiller Zorn« ein irrsinnig ausgereiftes Debüt vorgelegt. 1992 in den USA unter dem Originaltitel »The Long-Legged Fly« veröffentlicht, erschien dieses Buch auch in Deutschland bereits 1999 in der Übersetzung »Die langbeinige Fliege«, »Stiller Zorn« stellt die Neuauflage aus dem Jahr 2013 dar. Zudem ist dies der Auftakt zu der Reihe um den afroamerikanischen Privatdetektiv Lew Griffin, bis 2001 wurden insgesamt sechs Bände von James Sallis geschrieben, bisher sind davon leider nur zwei in deutscher Übersetzung erschienen, »Stiller Zorn« und sein Nachfolger »Nachtfalter«. Bis sich das vielleicht ändert, kann man sich mit James Sallis weiteren Werken beschäftigen, eine Auflistung folgt am Ende des Beitrags. Empfehlen kann ich in jedem Fall den Griff zu »Driver«, der 2011 unter der Regie von Nicolas Winding Refn und mit Ryan Gosling in der Hauptrolle unter dem Titel »Drive« treffsicher verfilmt wurde.

 

Fazit: James Sallis beeindruckt mich mit seiner Erzählweise, setzt einem eine Welt vor, deren Angeln quietschen, die unter ihrem Gewicht ächzt und die sich trotzdem weiterdreht. Immer weiter und weiter. Mit seinem Stil verleiht er dem Kriminalroman eine wichtige Stimme und eine wertvolle Facette.

Bewertung: 4.6 Punkte = 5 Sterne

Stil: 5/5 | Idee: 5/5 | Umsetzung: 5/5 | Figuren: 4/5
Plot-Entwicklung: 4/5 | Tempo: 4/5 | Tiefe: 5/5
Komplexität: 5/5 | Lesespaß: 4/5 | = 4.6/5.0

 


© Dumont Verlag
James Sallis – Stiller Zorn

Originalausgabe »The Long-Legged Fly« (1992)

übersetzt aus dem Englischen von Georg Schmidt

Mai 2013 bei DuMont

Taschenbuch | 192 Seiten | 8,99 EUR

Genre: Roman, Noir, Hardboiled, Kriminalroman

Reihe: Privatdetektiv Lew Griffin #1

Schauplatz: New Orleans/USA

 

 


Eine Auswahl aus dem Werk von James Sallis:

Die Lew-Griffin-Romane:

Die Driver-Romane:

Die Turner-Trilogie:

Einzelbände:

 

7 Kommentare zu “James Sallis – Stiller Zorn

  • 18. November 2015 at 11:30
    Permalink

    *im kreis renn*
    *ihre einkaufsliste für nächste woche betracht*
    aaaaaaaah
    *weiter im kreis renn*

    Du weißt schon, dass ich nun gezwungen bin, bei dem Autor mal reinzuschnuppern?
    Das ist nicht nett!
    Pinky, üüüberhaupt nicht!
    Ich habe eigentlich ganz andere Sorgen,
    *immer noch im kreis läuft*

    Reply
  • 21. November 2015 at 13:40
    Permalink

    Definitv "Driver"!
    Will erstmal in den Stil reinschnuppern. Nicht, dass ich mich jetzt vollpacke und ihn dann gar nicht mag 😀 Kann ja auch passieren 🙁

    Wann wolln wir eigtl die LR starten?

    Reply
  • 21. November 2015 at 14:08
    Permalink

    Ja, stimmt, wäre doof, aber soll vorkommen! 😉 Ich werd "Driver" und "Driver 2" nächstes Jahr auch nochmal lesen, ist schon ein Weilchen her und ich hätte die Titeln hier gern auf dem Blog.

    Leserunde könnten wir gerne in der zweiten Dezemberwoche unterbringen, wenn Dir das auch passt! Irgendwann zwischen 07. und 12. Dezember? Ich spiele auch Gastgeber diesmal. 🙂

    Reply
  • 25. November 2015 at 21:40
    Permalink

    Hallo,
    klasse Rezension. Schon seit dem hochgelobten "Driver" möchte ich unbedingt etwas von James Sallis lesen, sollte ich jetzt unbedingt mal machen.
    Sehr interessanter Blog, werde jetzt öfter mal vorbeischauen.
    Liebe Grüße
    Thomas (blauerklaus)

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