Ray Bradbury – Fahrenheit 451

»Fahrenheit 451« gehört zu den populärsten Werken im Bereich der dystopischen Literatur. Und doch vermochte es mich nicht so zu begeistern, wie man es angesichts seines Stellenwertes erwarten könnte. Ich fand den Roman keineswegs unanregend, im Gegenteil, inhaltlich hat er es mir sehr angetan. Nur das Erzählerische, die Umsetzung der ansich sehr großartigen Grundidee, damit konnte mich Ray Bradbury nicht so richtig begeistern.

 

Die Obsession

Aber der Roman hat inhaltlich trotzdem viel Schönes. 1953 erschienen, ist »Fahrenheit 451« eine Mahnung an den Verlust von kulturellen Werten durch Konformität, durch die Auf- und Abgabe des freien Denkens. Und eine Aufforderung zur Wahrung von Erinnerungen, von Geschichten, des Kulturguts Literatur und seinem Stellenwert für unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben.

Denn das sieht Ray Bradybury unter dem Einfluss der zunehmenden Medialisierung in Gefahr. Berücksichtigt man an dieser Stelle, was man im Nachwort der 2008er Diogenes-Ausgabe nachlesen kann, nämlich den Umstand, dass Ray Bradbury ein durch und durch bibliophiler Mensch war, der seine Kindheit mit großer Freude in Bibliotheken und mit Geschichten verbrachte und Buchrücken beschnüffelte, der Kurzgeschichten verfasste seit er 12 Jahre alt war, der eine wahre Obsession hegte für alles, was mit Büchern, Autoren und Bibliotheken zu tun hatte, ja nach eigenen Angaben sogar alle Frauen in seinem Leben Lehrerinnen, Bibliothekarinnen oder Buchhändlerinnen waren und er seine Ehefrau in einer Buchhandlung traf, dann wundert es nicht, dass seine Negativ-Utopie eine Zukunft beschreibt, in der das Lesen und Besitzen von Büchern verboten ist und ein Verbrechen gegen den Staat darstellt.

 

Der Roman

In dieser Zukunft, die geprägt ist von dem Verlust individueller Freiheiten einhergehend mit einer Omnipräsenz der Medien durch zimmerwandgroße Leinwände und Hörmuscheln als winzige Radiogeräte im Ohr, ist Guy Montag Feuerwehrmann. Nur löscht er keine Brände, er entfacht sie. Statt Wasser (ja ja, oder Löschschaum) ist Kerosin sein Werkstoff. Und die Objekte zur Entzündung sind Bücher. Zumeist sind es Nachbarn, die ihre Mitbürger denunzieren und den Verdacht melden, es könnten sich Bücher in dem entsprechenden Haushalt befinden.

Stößt die Feuerwehr bei ihrem Hausbesuch auf eben jene, werden die Bücher in Brand gesetzt, die Bewohner festgenommen. Was weiter mit ihnen geschieht, thematisiert der Roman nicht, deutet es auch nicht an. Die Feuerwehr ist hier gleichzeitig eine vollstreckende Gewalt, vermittelt das Gefühl von paramilitärischer Autorität.

Guy Montag liebt seinen Job, so scheint es. Die Eingangssequenz lässt ihn als lüsternen Feuerteufel auftreten, der nach getaner Arbeit stolz im Spiegel seinem rußgeschwärzten Gesicht zuzwinkert. Er steht auf seine Uniform. Auf den schwarzen Helm mit der großen 451 auf der Frontseite, reibt ihn zum Dienstschluss immer ordentlich blank. 451 Grad Fahrenheit, das entspricht in etwa 232 Grad Celsius. Es ist die Temperatur, bei der Papier zu brennen beginnt.

Dann eines Abends auf dem Heimweg begegnet er einem Mädchen, Clarisse McClellan, das neu in der Nachbarschaft ist. Sie ist anders als die anderen, sie denkt nach, stellt Fragen. Clarisse beobachtet ihre Umwelt, wundert sich über Dinge, will wissen, warum etwas so ist oder anders. Nachdenken ist nur kein sonderlich wünschenswerter Wesenszug in dieser Welt, in dieser totalitären Gesellschaft. Doch während die Obrigkeit beständig versucht, dieses »Gift« aus der Bevölkerung zu eliminieren, lässt sich der menschliche Freigeist nicht bei allen ersticken. Langsam regt sich auch in Guy Montag wieder soetwas wie Verstand und Urteilsvermögen. Und die berühmte Ketten von Ereignissen wird in Gang gesetzt, die eine Geschichte um den Wert und das Wahren von Literatur erzählt.

 

Der Autor

Anti-Utopien spiegeln auch immer die Ängste ihrer Autoren und Autorinnen wieder. Unter Einfluss und Bezugnahme der jeweiligen gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Umstände und Entwicklungen. Bei Ray Bradbury waren es Anfang der 1950er Jahre, unter den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges und der Ausbildung totalitärer Regime auch der Einsatz von Kernwaffen, der folgende Kalte Krieg und die ständige Bedrohung eines Atomkrieges, die hier den politischen Hintergrund bilden.

Allerdings sind diese Einflüsse fast nur Randnotizen. Bradburys Fokus liegt deutlich auf der Thematik des Kulturgutes Buch. Es wird nicht erwähnt, dass auch Gemälde, Filme oder Fotografien verbrannt werden. Im Gegenteil, das Fernsehen als Unterhaltungsmedium steht ganz klar in der Hauptkritik. Der massenhafte Konsum sinnfreier Programme, die verstandbetäubte Gesellschaft, die emotionale und moralische Defizite ausgebildet hat, weil man ihr das Denken verboten und abgewöhnt hat.

 

Die Verfilmung

»Fahrenheit 451« wurde im Jahr 1966 von François Truffaut auf die Kinoleinwand gebracht. Der Film ist … etwas in die Jahre gekommen, etwas eigen. Auf seine Art auch irgendwie ein wenig verschroben, aber ich weiß nicht, irgendwie mochte ich ihn. Stellenweise, weil er wirklich unfreiwillig komische Szenen hatte, die zum Teil an der Kameraführung, zum Teil am Alter lagen, zum Teil auch an den Darstellern, den Kostümen und den Kulissen. Dann weicht er in erheblichem Maße von der Romanvorlage ab, ist trotz einiger, geradezu putzig wirkender, technischer Spielereien kein Science-Fiction-Film im herkömmlichen Sinn, was aber auch kein Defizit ist, sondern ihn fast noch interessanter macht.

Gemein mit dem Roman hat er aber den absoluten Fokus auf das Buch als Objekt der Begierde. Genau wie Ray Bradbury interessiert sich auch Truffaut in erster Linie für das Kulturgut Buch, für Literatur, die meisten Szenen sind eine reine Hommage an das gedruckte Wort und tatsächlich ging mir als bibliophiles Menschlein der Film ans Herz.

 

Fazit

Ok, das wird ein langes Fazit. Es tut mir leid. Die Idee des Romans und seine Aussage, dass Literatur ein wesentliches kulturelles Gut und unser kulturelles Gedächtnis ist, das uns Menschen seit Jahrtausenden begleitet, dokumentiert, ausmacht, definiert, stellenweise an- und auch fehlleitet und das es zu bewahren gilt, das man ganz im Sinne des alten Professors Faber unbedingt die Möglichkeit haben muss, frei zu denken und sich frei entscheiden zu dürfen, auch für die vermeintlich falsche Seite, das wird alles sehr großartig aufgegriffen und thematisiert.

Und trotzdem hat mich das erzählerische Handling am Ende nicht überzeugt, nicht begeistert. Vielleicht liegt es daran, dass der Roman aus fünf bereits bestehenden Kurzgeschichten entstanden ist, die in diesem einen Werk aufgehen. Vielleicht war es das fehlende Außengerüst, der Blick auf das große Ganze. Auch ist der Roman genaugenommen nicht besonders visionär, nicht in seinem technischen Weiterdenken und nicht im Ausformulieren von den allgemeinen Lebensumständen. Er hängt genaugenommen sogar ganz stark in den konservativen Rollenbildern der 50er Jahre fest. Auch war Guy Montags Entwicklung vom Feuerteufel zum Literaturbewahrer für mich zu unvermittelt und haperig, als dass sich hier um Tiefe bei der Charakterführung bemüht wurde. Diesen Aspekt hat dann der Film tatsächlich besser umgesetzt. Der wirkt alles in allem zwar sehr schrullig-verschroben, hat aber einen ganz eigenen Charme in dieser Seltsamkeit. Und ist mir irgendwie ans Herz gewachsen.

Insofern tanze ich bei diesem Klassiker der dystopischen Literatur einfach mal aus der Reihe, ich mochte die Idee des Romans sehr, aber nicht, wie er aufgebaut und erzählt wurde. Ich werde in diesem Zusammenhang noch ein paar weitere Werke Ray Bradyburys lesen, um der Frage nachzugehen, ob ich generell gar nicht oder nur bei Kurzgeschichten oder nur bei Romanen, die nicht aus Kurzgeschichten zusammengeschrieben wurden, an Bradburys Erzählen Freude finde. Immerhin gilt der Autor als Meister des Kurzformates. Spannende Sache das alles.

In Zahlen: Stil: 3/5 | Idee: 5/5 | Umsetzung: 3/5 | Figuren: 3/5 | Plot-Entwicklung: 3/5 | Tempo: 4/5 | Tiefe: 5/5 | Komplexität: 3/5 | Lesespaß: 3/5

 


© Diogenes
Ray Bradbury – Fahrenheit 451

Originalausgabe »Fahrenheit 451« (1953)

übersetzt aus dem Amerikanischen von Fritz Güttinger

Mai 2008 bei Diogenes

Taschenbuch | 240 Seiten | 11,00 EUR

Genre: Science Fiction, Dystopie

Reihe: Einzelband

Schauplatz: Kalifornien/USA

 

 

Die Besprechung erscheint im Rahmen des Blog-Spezials »Dystopische Literatur« mit Bloggerkollegin Christina von »Die dunklen Felle«.

 

Weitere Besprechungen zu »Fahrenheit 451« u.a. bei:

Lovely Mix: »In einer Welt, in der keiner mehr Zeit hat, alles schnell gehen muss, die Schlagzeilen immer kürzer werden müssen, die Romane eher Kurzgeschichten weichen, Werbung und Fernsehen und Radio uns umgeben, haben die Menschen ganz von alleine aufgehört zu Lesen.«

 

 

16 Kommentare zu “Ray Bradbury – Fahrenheit 451

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  • 9. Februar 2018 at 18:38
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    Hm, das wundert mich auch. Bradbury empfinde ich als großartigen Erzähler, und auch ein späteres Wiederlesen von “Fahrenheit 451” enttäuschte mich nicht. Klar, ist halt oldfashioned und Kind seiner Zeit, aber ja auch eher Märchen als moderne Geschichte. Hm. Meine Leseempfehlungen wären “Der illustrierte Mann” (Kurzgeschichten) und “Das Böse kommt auf leisen Sohlen”.

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    • 9. Februar 2018 at 18:53
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      Ich war selbst auch überrascht. Aber ich konnte, völlig losgelöst vom ohne Frage tollen Inhalt, beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum Bradbury als großer Erzähler gilt. An “old-fashioned” störe ich mich in der Regel gar nicht, ich brauche es auch nicht “modern”, das war hier nicht die Krux. Ich fand es wirklich und ehrlich rein handwerklich, vom Aufbau, von der Entwicklung Guy Montags betrachtet, einfach nicht gut erzählt. Und mir ist bewusst, dass ich da wohl aus dem Rahmen falle. Aber Geschmäcker sind verschieden und mit manchen Erzählstilen wird man einfach nicht warm.

      Die Tipps sind perfekt, vielen Dank, genau die hatte ich mir neben den Mars-Chroniken notiert! 🙂 Ich finde sowas ja immer spannend und habe durchaus Spaß an solchen Leseversuchen, auch wenn mich ein Autor letztlich dann doch nicht packt. Schade ist es um die Lektüre nie.

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  • 10. Februar 2018 at 13:26
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    Huhuuu, Ach wie schade, dass es dich nicht ganz so überzeugen konnte. ich kann die Kritikpunkte aber voll verstehen, für mich war nur der Rest so gut, dass es mich überhaupt nich störte. Und vielen Dank für die Hintergrund Infos, die gab es in meiner Ausgabe nicht und natürlich für das verlinken!

    glg Franzi

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    • 10. Februar 2018 at 20:17
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      Hi Franzi, vielen Dank fürs Kommentieren! Geht mir mit manchen Werken genauso, wenn mich ein Aspekt richtig packt und begeistert, dann tritt vieles in den Hintergrund. 🙂

      Freut mich, dass noch ein paar neue Infos dabei waren! Ich stehe ja total auf Nachworte oder auch Vorworte, wobei die Diogenesausgabe beides hat, beide von Ray Bradbury. Dummerweise verrät er in dem neuen Vorwort das Dahinscheiden einer Figur und wenn man die Geschichte als Erstleser wirklich gar nicht kennt, ist das schon leicht frustrierend. Sonst aber sehr informativ. 🙂

      Liebe Grüße, Katja

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  • 10. Februar 2018 at 19:55
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    So ähnlich wie du habe ich die Lektüre auch empfunden. Ich hatte mir wesentlich mehr versprochen. Ich habe mal mein Rezensionsarchiv durchwühlt: “Mein Problem mit dem Roman ist allerdings, dass ich finde, dass der Autor sich zu sehr auf Medien und Literatur konzentriert. Viele Hintergründe dieses zukünftigen totalitären Staates bleiben dagegen nebulös. Die ganze Story wirkt auf mich dadurch leicht simpel und längst nicht ausgereift.”

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    • 10. Februar 2018 at 20:09
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      Ha, das finde ich ja gerade sehr cool und spannend! Aber erstmal: Mist, ich habe bei der Suche nach Fahrenheit-Rezensionen deine offensichtlich übersehen, das tut mir leid, ich verlinke die hier morgen gleich noch! Und lese sie mir natürlich auch durch, dann können wir da noch ausführlicher reden. Nicht ausgereift trifft mein Empfinden aber auch sehr gut. Hast du noch andere Texte von Bradbury gelesen?

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      • 10. Februar 2018 at 22:25
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        Nein, von ihm habe ich nichts mehr gelesen. Habe “Fahrenheit 451” vor einigen Jahren zum ersten Mal gelesen, kurz nachdem ich nochmal “1984” und “Schöne neue Welt” gelesen hatte. Den Vergleich zu diesen Werken hält “Fahrenheit 451” meiner Meinung nach nicht statt.
        Die Rezension konntest du aber auch nicht finden. Die ist nur auf Lovelybooks.

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        • 11. Februar 2018 at 21:36
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          Ah ok, dann konnte ich sie nicht finden. Aber ich tendiere da auch in deine Richtung, Huxley und Orwell würde ich den Vorzug geben.

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  • 12. Februar 2018 at 11:01
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    Ich habe “Fahrenheit 451” auch gelesen, ist schon ein paar Tage her aber trotzdem noch keine Jahre. Nichtsdestotrotz ist die Geschichte mir auch nicht überschwänglich in Erinnerung geblieben. So wie Gunnar hätte mich ein weiterführender Blick in die restlichen Teile des totalitären Staates da auch sehr interessiert, so aber bleibt er bei den Bücherverbrennungen stehen. Und klar, wir sind alle Buchliebhaber, aber wir gucken auch gerne über den Rand. Und das hat mir gefehlt.

    Ich habe Bradbury aber auch noch nicht abgeschrieben, denn neulich ist mir die Kurzgeschichtensammlung “S is for Space” untergekommen und die hab ich verschlungen. Die fand ich richtig toll. Und bei mir liegen auch noch ein paar “Bradburys” im SUB, u. a. der Illustrierte Mann.

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    • 12. Februar 2018 at 13:54
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      Ja, die Kurzgeschichten interessieren mich auch noch sehr. Mal gucken, ob es mich dann auch packt. 🙂

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  • 12. Februar 2018 at 21:41
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    Schöne detaillierte Rezension! Hat mir sehr geholfen, das Buch einzuschätzen. Und jetzt ergibt der Titel auch endlich Sinn für mich 😉

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