David Gray – Sarajevo Disco

Tja, ihr wisst ja, wie das ist. Eine Hand wäscht die andere. Und beide bleiben dreckig. Manus manum lavat. In David Grays jüngster Veröffentlichung »Sarajevo Disco« gibt es reichlich dreckige Hände. Außerdem dreckige Drogen und dreckige Sprüche. Das alles gerät zu einer coolen Mischung, die schon auch ein bisschen auf die Schnauze haut und einen Polizei-Thriller auf dem Hamburger Kiez inszeniert, der sich mit Drogenhandel, Organisierter Kriminalität und dem Machtgefüge im Öffentlichen Verwaltungsapparat beschäftigt.

 

Verbale Unverblümtheit

Das klingt erstmal so förmlich, was aber natürlich Quatsch ist, wenn man einen Thriller von David Gray liest. Wer den Vorgänger-Roman »Kanakenblues« kennt, weiß, dass ihn hier verbale Unverblümtheit erwartet und damit der Biederkeit der deutschsprachigen Kriminalliteratur einmal kräftig der Stock aus dem Allerwertesten gezogen wird.

Wer den Vorgänger noch nicht kennt, der kann erstens »Sarajevo Disco« trotzdem lesen, denn, und das sage ich als absolut stringente Reihenfolgendikatorin, der Roman funktioniert sehr gut selbstständig, sollte aber zweitens unbedingt in Erwägung ziehen, sich »Kanakenblues« auch zu gönnen. Im Vergleich zum Vorgänger ist »Sarajevo Disco« vielleicht etwas ruhiger, wirkt gereifter, ist aber letztlich die ganz konsequente Weiterentwicklung einer Serie, einer Romanidee und einer Figurencharakterisierung.

Denn Lewis Boyle, Kripobeamter der Stadt Hamburg, falsche Hautfarbe, zu klug, zu arrogant und Chef der Mordkommissionn, wird auch nicht jünger. Gut fünf Jahre sind in der Kontinuität der Romanhandlung seit »Kanakenblues« vergangen. Boyle ist mit Ende 30 zwar rein physisch immer noch in der sprichwörtlichen Blüte seines Lebens, dennoch nagt der Polizeialltag langsam auch an ihm. Müde wird er. Müde von all der Gewalt, den Machtspielchen auf der Straße und im Präsidium.

 

High body count

In der Hamburger Unterwelt sterben derweil die Gangster wie die Fliegen. Erst wird Alexander »Monster« Lermontow von der russischen Koscha Nostra der halbe Kopf von den Schultern geschossen. Kurze Zeit später kokeln die Überreste des Hells Angel Hansi Üzgür in einem Bulli vor sich hin. Dritte Partei in diesem Spiel ist die sogenannte Jugogang von Nikolas Premuda. Ein Revierkampf um die Vorherrschaft auf dem Hamburger Drogenmarkt scheint sich anzubahnen.

Der schrumpft sich aber offenbar gerade selbst gesund. Eine Truppe Maskierter hat eine beachtliche Menge an gepanschten Ecstasy-Pillen kostenlos in der Stadt verteilen lassen. Die in Umlauf gebrachten Drogen verkürzen den Aufenthalt der Konsumenten auf der Straße des Lebens erheblich. Highlife in Tüten meets Russisches Roulette und die Karten im Hamburger Gangstermilieu werden augenscheinlich neu gemischt. Und am Ende trifft man sich in der »Sarajevo Disco« zum gemeinsamen Tanz.

Eine ziemlich gut verstrickte Geschichte konstruiert David Gray aus dieser Situation. Eine, die gleichermaßen von seinen Akteuren und seiner Sprache lebt und die auf fast 500 Seiten schön komplex und mit der nötigen Intensität angegangen wird. Dabei steht vor allem Lewis Boyle als Fixstern in dem Konstrukt, seine Person im Zentrum einer Szenerie voller Konflikte. Da ist zum Beispiel die jahrelange Freundschaft zu Teddy Amin, dem Boss der russischen Gangster. Der Chef der Mordkommission und der Kopf einer schwerkriminellen Organisation. Boyle und Teddy sind gemeinsam aufgewachsen, auch das beleuchtet der Autor in einem eigenen Abschnitt, der sehr wirkungsstark gelungen ist. Weil er zum einen sehr viele Bilder und Eindrücke produziert, zum anderen den Figuren mehr Hintergrund gibt und sie plastischer macht, greifbarer.

 

Konventionell? Is nich.

Dann wäre da noch Boyles neuer Sozius, Jale Arslan. Eine Frau mit einem recht niedrigen Empathieempfinden, dafür einer umso ausgeprägteren Beobachtungsgabe, wenn es um die Reaktionen ihres Gegenübers geht. Wenn man Emotionen nicht nachempfinden kann, schaut man eben umso genauer auf Mimik, Gestik, Körperhaltung. Das macht sie zu einer fähigen Ermittlerin. Dazu kommt Biss, jede Menge Biss, und der Wille, es in diesem Job zu etwas zu bringen. Als sie im Zuge der Ermittlungen auf Boyle trifft, ebenso verbissen, entsteht eine spannende Dynamik zwischen den beiden. Erfreulicherweise verzichtet Autor David Gray komplett darauf, hier kalkulierbare sexuelle Spannungen zwischen den beiden einzubauen. Dafür sind andere Szenen, anderen Figuren im Roman vorgesehen. Bei Boyle und Jale geht es um essenziellere Dinge, um grundlegend unterschiedliche Naturelle, die sich im gleichen Milieu arrangieren müssen.

Sprachlich ist »Sarajevo Disco« wie gesagt nicht zimperlich, das Vokabular ist sehr direkt, sehr informell, Straßensprech, wie man in David Grays Roman sagen würde. Das kommt mitunter auch mal etwas dick aufgetragen daher, der Trick dabei ist aber, dass ich als Leserin an dieser Stelle nicht über den Autor, sondern über die Figuren schmunzel, was in puncto Authentizität bedeutet, dass David Gray hier alles richtig gemacht hat. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, bei denen ich das bemüht harte und betont lässige Erzählen öfter als mir lieb ist als peinlich bis unglaubwürdig empfinde, kaufe ich David Gray den Auftritt seines Figurenensembles bis in die Haarspitzen ab. Der Roman gibt relativ wenig auf Konventionen, traut sich etwas, bei den Figuren, bei der Sprache, das ist absolut lobenswert und lohnenswert und richtig gute Krimilektüre.

 

Fazit: David Gray zieht der Biederkeit der deutschsprachigen Kriminalliteratur kräftig den Stock aus dem Allerwertestenn. Er inszeniert im Hamburger Gangstermilieu einen Polizeithriller, der gleichermaßen von seinen Akteuren und seiner Sprache lebt, einen schönen Plot bietet und sich recht wenig um Konventionen schert. Gut so.


In Zahlen: Stil: 4/5 | Idee: 5/5 | Umsetzung: 4/5 | Figuren: 4/5 | Plot-Entwicklung: 3/5 | Tempo: 4/5 | Tiefe: 4/5 | Komplexität: 5/5 | Lesespaß: 4/5

 


© Pendragon Verlag
David Gray – Sarajevo Disco

Originalausgabe

August 2017 im Pendragon Verlag

Taschenbuch | 496 Seiten | 15,00 EUR

Genre: Polizei-Thriller

Reihe: Kommissar Lewis Boyle #2

Schauplatz: Hamburg

 

 

 

Weitere Besprechungen zu »Sarajevo Disco« u.a. bei:

Stuffed Shelves: »Sarajevo Disco« hat alles, was ein guter Krimi braucht. Steiler Spannungsbogen, überzeugende Kiez-Atmosphäre, interessante Figuren.«

 

Weitere Besprechungen zu Romanen von David Gray/Ulf Torreck auf diesem Blog:

David Gray – Kanakenblues (Boyle #1)

Ulf Torreck – Fest der Finsternis

 

11 Kommentare zu “David Gray – Sarajevo Disco

  • 7. Oktober 2017 at 15:00
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    Erstmal besten Dank für die Verlinkung! Was die Rezension angeht, ähnlich direkt und auf den formuliert wie das Buch selbst. Was die Qualität angeht sind wir uns ja anscheinend einig 😉

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    • 8. Oktober 2017 at 16:24
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      Sehr gerne, und danke, das Buch zu besprechen, macht aber auch einfach Spaß. Und ja, ich denke, was den Wert von David Grays Romanen angeht, sind wir einer Meinung! 😀

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  • 7. Oktober 2017 at 15:08
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    Ich fass mir mal kurz und sach einfach ma: Klasse Rezension! Den guten David muss ich unbedingt auch noch aus dem Regal ziehen.

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    • 8. Oktober 2017 at 16:25
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      Merci! 🙂 Ja, doch, da lohnt sich ein Blick und ich wäre natürlich auch sehr gespannt auf deine Einschätzung zum Stoff!

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  • 7. Oktober 2017 at 17:04
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    Verdammt. Muss ich wohl doch lesen. Und weil ich auch eine Reihenfolgebefolgungsliebhaberin bin, habe ich mir eben Kanakenblues ausgeliehen. Als Hamburgerin scheint die Lektüre ja eh Pflicht zu sein… 😉

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    • 8. Oktober 2017 at 16:26
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      Musste machen! 😀 Nee, quatsch, müssen ist natürlich nicht, aber ich wäre nicht minder neugierig, zu hören, ob das auch bei dir auf Anklang stößt und wie du es mit der Sprache so hast. 🙂 In jedem Fall viel Vergnügen dabei!

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  • 8. Oktober 2017 at 14:19
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    Ich habe mir das Buch ja auch gegönnt und werde es wohl in den nächsten Tagen lesen. Kanakenblues hat es mir ja schon damals angetan, fand ich klasse und freute mich vor allem, weil es aus deutscher Feder kommt.

    Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ich liebe deine Rezensionen! Toll geschrieben! Immer wieder lesenswert.

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    • 8. Oktober 2017 at 16:31
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      Ja, »Kanakeblues« war seinerzeit für mich auch ein richtig spannendes Ding, ich war zuvor solch direktes Vokabular im Roman noch nicht so gewohnt, da ich damals noch mehr von den etwas bunteren Pop-Thrillern gelesen habe, nicht ganz so schwarz und hardboiled, wie es inzwischen der Fall ist. Daher war das damals schon eine kleine Offenbarung.

      Lieben Dank! Wo ist denn dieser Emoji, der rote Backen bekommt?

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